SPD und ihre inneren Konflikte: Gefangen im alten Dilemma

FILE PHOTO: Kevin Kuehnert, head of the SPD’s youth wing, speaks during an SPD party convention in Berlin
Lange war es ruhig um die SPD – bis der Juso-Chef mit seinen Thesen wieder den Finger in eine alte Wunde legte.

„Komm Kevin, ich brauch noch ein Foto von dir und meiner Frau.“ Der Mann mit dem schlohweißen Haaren drückt auf sein Smartphone und lächelt selig.

Egal wo Kevin Kühnert, Chef der Jungsozialisten und Wortführer der No-GroKo-Bewegung auftaucht, es sind meist dieselben Bilder: Menschen belagern ihn, wollen Selfies oder diskutieren. Auch Donnerstagnachmittag in Bad Segeberg, einer 17.000 Einwohner-Stadt in Schleswig-Holstein. Dort kam der 29-Jährige als Gastredner zum Auftritt von Justizministerin Katarina Barley, der Spitzenkandidatin fürs EU-Parlament.

Pensionist Manfred ist einer der ersten am Marktplatz und blinzelt in die Sonne – schnell hat er den Juso-Chef ausgemacht: „Der bringt Wind in die Bude.“ Sonst habe die SPD ja nicht viel zu verkaufen, moniert er und macht es sich auf der roten Holzbank bequem. Für die Sozialdemokraten war es zuletzt eher ungemütlich: Kühnert sorgte kürzlich mit einem Interview zum Thema Sozialismus in der Zeit für Empörung. Er sprach von Kollektivierung großer Unternehmen „auf demokratischem Wege“. Während dies der linke Parteiflügel lobte, überschlug sich der konservativere Teil der SPD fast vor Wut. Die Parteispitze pendelte zwischen Beschwichtigung und Distanz.

Wo steht die Partei?

Damit offenbarte sich erneut der innere Konflikt in der Partei, der auch bei der Frage „Große Koalition Ja oder Nein?“ sichtbar wurde. Auf der einen Seite ist das Lager jener, die den Auftrag der SPD darin sehen, für alle Benachteiligten der Gesellschaft zu kämpfen. Wäre es nach ihnen gegangen, hätte die Partei nach der Bundestagswahl 2017 auf der Oppositionsbank Platz genommen und würde dort der CDU Feuer machen, anstatt am Ende wieder gerupft aus der Koalition herauszukommen. Auf der anderen Seite mahnen die Pragmatiker und Parteikonservativen vom rechten Flügel zur Räson. Sie setzen auf eine breite Mehrheit und aufs Regieren – inklusive einiger Kompromisse. Die Fronten sind klar abgesteckt.

Viele, die sich hier am Marktplatz zwischen Europafahnen und Luftballons versammelt haben, warten nun gespannt auf den Auftritt des Juso-Chefs. Doch dieser zeigt sich an diesem Nachmittag deutlich zahmer. Von der Moderatorin auf sein umstrittenes Interview angesprochen, erklärte er, dass er eine „Utopie“ zeichnen wollte. „Unternehmen sollen der Gesellschaft ihren gerechten Teil zurückgeben.“ Dann schlägt er die Brücke zum Mindestlohn in Europa und Steueroasen in Irland und Malta. Dafür gibt’s Applaus und Nicken im Publikum.

Dietrich, Mitte Fünfzig, ist aus dem Nachbarort hergefahren. Ihm gefällt die Stoßrichtung. Die Kühnert-Thesen zur Vergesellschaftung sind bewusst provokant, vermutet er. Aber: „Wir müssen wieder über das Menschenbild diskutieren und in welcher Gesellschaft wir leben wollen.“

Gedämpfte Erwartungen

Katarina Barley betritt die Bühne. Sollte sie auch zu denen gehören, die sich wegen der Kühnert-Debatte um den Wahlkampf sorgen, lässt sie sich nichts anmerken. In einem Interview mit der Welt verteidigt sie ihn („Die Jusos haben schon immer polarisiert. Junge Menschen haben das Recht alles zu hinterfragen, was anderen selbstverständlich erscheint“) und spricht von einer „unsachlich geführten Debatte“. Gleichzeitig weist sie daraufhin, man wäre sich in der SPD einig, dass theoretische Diskussionen keine konkreten Probleme lösen.

Barley-Thesen wird man in Bad Segeberg also keine hören, dafür eine Bewerbungsrede. Ihre Mutter sei Deutsche, der Vater Brite und der Partner ein Holländer, aufgewachsen ist sie in Trier, nahe der französischen Grenze. „Ich bin Europäerin mit jeder Zelle meines Körpers“, ruft die 50-Jährige den Menschen zu. Sie schlägt den Bogen von Brexit und Digitalisierung zum Klimaschutz, beantwortet Publikumsfragen – vor allem von lokalen SPD-Politikern.

Die Stimmung ist gut, Barley hat es einfach. Dass sie das Ergebnis von Martin Schulz 2014 (27,3 Prozent) übertrifft, erwartet in der SPD kaum jemand. In Zeiten, wo die Partei zwischen 15 und 17 Prozent pendelt, sei man froh, wenn das Ergebnis bei der Europawahl über dem Bundestrend liege.

Wo sie ihr Kreuzchen macht, weiß Irmgard aus Bad Segeberg noch nicht. Die 80-Jährige gönnt sich mit ihrer Nachbarin eine Zuhörpause am Brunnen. Katarina Barley findet sie zwar sympathischer als im Fernsehen, aber seit Helmut Schmidt hätte die SPD ohnehin keine guten Leute mehr gehabt. Aber der junge Mann, sein Name ist entfallen („Heißt er Dennis oder Kevin?“), solle ruhig mal weiterkämpfen.

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