Ihr Diebe, ihr Mafiosi!"
Doch um diese Unabhängigkeit kümmern sich andere Teilnehmer der Proteste gar nicht. Sie skandieren Parolen wie "Diebe" oder "Mafiosi", also genau die Worte, die der spanische Rapper Hasel benützt hatte, und die vor einer Woche zu seiner Verhaftung geführt hatten. Was also hatte Hasél gemacht? Der Rapper hatte 2016 Altkönig Juan Carlos, der sich inzwischen nach Abu Dhabi abgesetzt hat, einen „Dieb“ und „Mafioso“ genannt. Juan Carlos, der einstige Held der Spanier, ist in zahlreiche Korruptionsaffären verstrickt und musste ja deshalb das Land verlassen.
Das "Knebelgesetz"
In dem Song und auch auf Twitter ließ und lässt Hasel nicht nur seine Wut über den König ab, sondern auch seinen Gewaltfantasien freien Lauf. Doch in Spanien gibt es ein von der ehemaligen konservativen Regierung vor fünf Jahren erlassenes Gesetz, das verbale Gewaltverherrlichung, aber auch Beleidigung staatlicher Autoritäten - etwa den König - unter Strafe stellt. Künstler, Musiker, oder politische Aktivisten, sie alle sind schon unter dem Titel dieses Gesetzes bestraft, oder eben sogar ins Gefängnis gesteckt worden. Offiziell heißt es "Gesetz zum Schutz der Bürger", auf der Straße, vor allem unter Jugendlichen nennt man es aber das "Knebelgesetz".
"Niemals den Mund halten"
Auch der Rapper wurde mit diesem Gesetz zu einer Haftstrafe verurteilt. Allerdings weigerte sich der Katalane, die Strafe anzutreten, und verbarrikadierte sich tagelang in der Universität seiner Heimatstadt Lleida. Als er am vergangenen Dienstag von Polizisten schließlich abgeführt wurde, rief er mit erhobener Faust: „Wir werden niemals den Mund halten!“
Die Aufnahmen von Hasels Festnahme verbreiteten sich viral in den Sozialen Medien. Die erhobene Faust und die Ankündigung, den Mund nicht halten zu wollen, wurden zum Motor einer Protestbewegung, die innerhalb von Stunden in Städten in ganz Spanien hochkochte. Um Meinungsfreiheit ging und geht es dabei nur zum Teil. Was die meist jugendlichen Demonstranten auf die Straße treibt und oft alles zerstören lässt, was ihnen zwischen die Finger kommt, ist grundlegende Frustration und Verzweiflung.
Arbeitslos ohne Perspektive
Spaniens Wirtschaft ist von der Pandemie so hart getroffen worden wie kaum eine andere in Europa. Vor allem der Jobmotor Tourismus steht seit einem Jahr still, und das trifft vor allem die Jungen, die sich mit Taglöhner-Jobs im Tourismus über Wasser halten. Spanien kämpft seit mehr als zehn Jahren gegen eine chronische Jugend-Arbeitslosigkeit, die mit 40 Prozent immer noch völlig astronomische Werte erreicht - auch wenn die Schwarzarbeit vieles kompensiert.
Von der Krise nie erholt
Das Land hat sich schon von der Finanzkrise 2008 nie richtig erholt. Die spanischen, darunter vor allem die katalanischen Banken sind reihenweise unter ihren faulen Immobilien-Geschäften kollabiert. Schon damals entstand eine von Jugendlichen getragene Protestbewegung, die das ganze Land erfasste: "Die Indignados", in etwa "die Zornigen". Aus dieser Bewegung ist die politische Partei Podemos hervorgegangen. Die sitzt jetzt mit den Sozialisten in der Regierung und tut sich mit den Protesten, die denen von damals so ähneln, sichtlich schwer. Partei- und Vizeregierungschef Pablo Iglesias zeigte offen Sympathie für die Protestierer und sprach vor einigen Tagen von der "mangelnden Qualität der Demokratie" in Spanien. Das brachte ihm sofort einen harte Retourkutsche von Regierungschef Pedro Sanchez ein: Spaniens sei eine vollwertige Demokratie und Gewalt auf den Straßen "inakzeptabel". Doch die Jugendlichen auf der Straße kümmern sich meist wenig um solche politischen Gefechte und wollen sich auch nicht von den katalanischen Separatisten vereinnahmen lassen. Für sie zählt der Widerstand gegen ein System, von dem sich im Stich gelassen und um ihre Zukunft betrogen fühlen - und Hasel, der sich jetzt ständig aus dem Gefängnis zu Wort meldet, um sich über die dortige Härte aufzuregen, ist genau ihr Wortführer.
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