Gefangen in Spaniens Spielhöllen
Aus Madrid Maren Häussermann
Bunte Lichter blinken im Zentrum des Roulettes. Die runde Kugel schießt heraus, wo wird sie liegen bleiben? Auf der 21? Der 4? Schwarz oder rot? Automaten überall, „bjuuum“ der Ton, wenn sich wieder drei Bilder nebeneinanderreihen, Banane, Apfel, Trauben. Oder doch die Sportwetten? Im Central Park rennen die Hunde, hier auf dem Bildschirm in Madrid übertragen. Venus, der Windhund, belegt heute nur den dritten Platz.
Spielsalons sind in Spaniens Hauptstadt wie Unkraut aus dem Boden geschossen. Laut Medienberichten hat sich ihre Zahl in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Ihre Standorte sind oft in den Arbeitervierteln. In Puente de Vallecas im Süden Madrids befinden sich in einem Häuserblock elf solcher Lokale. Dieses Gebiet war im Herbst in den Schlagzeilen, weil es wegen der zweiten Corona-Welle als erstes abgeriegelt wurde. Hier sind Wohnungen und Einkommen klein. Mit der drohenden Wirtschaftskrise steigt die Sorge, dass sich immer mehr finanziell schwache Menschen dem Glücksspiel zuwenden.
In der Nähe von Schulen
„Die Leute suchen nach schnellen Lösungen für ihre Probleme“, sagt Juan Lamas von der Föderation rehabilitierter Glücksspieler, „deshalb siedeln sich die Salons dort an, wo es die meisten Probleme gibt.“ Dort, wo die Lokalmieten geringer sind und die Zielgruppe viel Zeit draußen verbringt, wo sie an jeder Ecke auf einen Salon stoßen kann. Eine Nachbarschaftsassoziation hat ausgearbeitet, dass sich in Madrid 61 Spielsalons weniger als 100 Meter von Schulen entfernt befinden. Und die Jugend nutzt das Angebot.
Laut Remi von der NGO Proyecto Hombre, die sich um Menschen mit Abhängigkeiten kümmert, haben sich in den letzten fünf bis sechs Jahren vermehrt Jugendliche dem Glückspiel zugewandt. Waren es früher noch über 35-Jährige oder ältere Männer mit Casino-Problemen, spielen nun schon 16-Jährige, die mit 20, 22 Jahren die ersten Probleme haben. Oft spielen sie via Laptop und Handy und können zu jeder Zeit an jedem Ort wetten.
Um dieser Entwicklung zu begegnen hat die Regierung unter Initiative des Konsumministers, Alberto Garzón, nun die Werbung eingeschränkt. Ein neues Gesetz verbietet den Aufdruck von Marken der Glücksspiel-Industrie auf den Trikots der Sportvereine und limitiert die Werbung in audiovisuellen Medien (inklusive Youtube) auf den Zeitraum von 1 Uhr bis 5 Uhr. Willkommensgutscheine für neue Spieler gibt es nun nicht mehr. Die Umsetzung all dieser Werbe-Änderungen soll bis Sommer 2021 abgeschlossen sein. Schön jetzt dürfen Sportvereine aber keine Verträge mehr mit neuen Sponsoren aus der Glücksspielbranche abschließen.
Werbeverbote
Dass das hilft, bezweifelt Remi. Er vergleicht das Glücksspiel mit Alkohol und Tabak. Auch dafür ist die Werbung verboten, aber verringert das den Konsum? Er plädiert dafür, an der kaum vorhandenen Prävention zu arbeiten. Juan von der Föderation rehabilitierter Spieler sagt dagegen, dass die Werbung nicht so ein Millionengeschäft wäre, wenn sie nicht wirken würde. Er sieht im Gesetz einen Schritt in die richtige Richtung.
In Gibraltar, wo mehr als 30 Glücksspielunternehmen ihren Sitz haben und ein Viertel des BIP ausmachen, sagt Anwalt Peter Howitt: „Menschen lieben das Risiko, weil es Spaß macht.“ Er vergleicht Glücksspiel mit Extremsportarten: „Man muss nur das richtige Maß im Umgang damit finden.“
In Spanien, das von der Corona-Pandemie hart getroffen wurde, liegt die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen bei über 40 Prozent. Und viele von ihnen finden immer weniger das richtige Maß – nach der Krise von 2008 ist die Entwicklung einer weiteren Generation gefährdet.
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