Woran das liegt? Politologe Hajo Funke erklärt, dass der SPD "zu viele Kompromisse und eine zu lange Zeit in der Großen Koalition angelastet werden". In diesem Bündnis, das sie drei Mal unter Merkel einging, habe sie an Profil verloren.
Im schlimmsten Fall droht der SPD im Herbst ein schlechteres Ergebnis als 2017 (20,5 Prozent). Als Schreckensszenario gilt ihr der Nachbar Frankreich. Dort ist die Parti Socialiste (PS) im politischen Nirwana gelandet und nur noch einstellig.
Auch in Italien, wo Parteien zerfallen, sich abspalten und doch wieder zusammenschließen, erlebte die Partito Democratico unter Matteo Renzi zunächst einen Höhenflug, dann einen Absturz. Ex-Premier Enrico Letta versucht sie aus der Krise zu führen. Das tut auch Keir Starmer, der 2020 die britische Labour-Partei übernommen hat. 2017 fuhr sie unter Jeremy Corbyn noch einen Achtungserfolg ein, eineinhalb Jahre später folgte die Niederlage: Zu unkonkret war Corbyns Position zum Brexit, dem alles bestimmenden Thema.
"In Summe geht es der Sozialdemokratie derzeit nicht gut", erklärt Politikwissenschafter Anton Pelinka, wobei sie in Österreich noch recht stark sei, sagt er mit Blick auf die gestiegenen Umfragewerte von 28 Prozent.
Die Gründe für die Krise sind vielfach besprochen, einer der wesentlichen: "Ihre traditionellen Rezepte hat sie auf einer Gesellschaftsschicht aufgebaut, die an Bedeutung verliert: die klassische Arbeiterbewegung."
Auf der Suche nach Auswegen schlagen die Sozialdemokraten in Europa verschiedene Wege ein – in Spanien, Portugal und Dänemark gewannen sie sogar wieder Wahlen. Ein Erfolgsrezept für alle lässt sich aber nicht ableiten, "da fehlt die europäische Dimension", sagt Pelinka zum KURIER.
So haben die Portugiesen etwa eine andere ökonomische Entwicklungsstufe. Sozialistenchef Antonio Costa regiert mit Kommunisten, Grünen und dem Linksblock und brach mit der Austeritätspolitik seines Vorgängers. Er hob die Mindestlöhne an, erhöhte Investitionen im öffentlichen Sektor. Die Wirtschaft sprang wieder an.
Dänemarks harter Kurs
Die dänische Sozialdemokratin Mette Frederiksen verpasste ihrer Partei hingegen einen rechten Anstrich und gewann 2019 die Wahl. Seitdem legt sie harte Migrationspolitik vor – zuletzt ein Gesetz, das Asylbewerber nach ihrer Registrierung an der dänischen Grenze in ein Aufnahmezentrum außerhalb der EU bringen soll. Scharfe Kritik kam von der UNO, die EU ging auf Distanz.
"Wenn die SPÖ hier eine harte Linie einschlägt, so wie es Doskozil vorschlägt, unterscheidet sie sich erst recht nicht von der FPÖ und Kurz-ÖVP", sagt Pelinka. Besser sie setze darauf, proeuropäisch zu sein – und auf die besser ausgebildeten und jüngeren Wähler, deren Zahl wächst. Ähnliches empfiehlt er auch der SPD, bei der er ein Alleinstellungsmerkmal vermisst: "Sie ist ein bisschen grün, ein bisschen europäisch, Unterschiede zu CDU/CSU muss man suchen."
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