Sieben Prinzipien: So soll die Ukraine wieder aufgebaut werden
750 Milliarden Dollar, also knapp 720 Milliarden Euro - so viel soll der Wiederaufbau der durch den Krieg zerstörten Ukraine ungefähr kosten. Das geht aus einem hunderte Seiten dicken Vorschlag für den Wiederaufbau des Landes vor, den der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal und Außenminister Dmytro Kuleba an der Spitze einer großen ukrainischen Delegation in der Schweiz vorlegten. In Lugano erörterten 1.000 internationale TeilnehmerInnen, darunter auch Hilfsorganisationen, die letzten beiden Tage lang, wie man das kriegsgebeutelte Land wieder neu aufbauen und gestalten könne.
Der ukrainische Präsident hätte gern persönlich teilgenommen, war aber verhindert und richtete via Videobotschaft einen Appell an die teilnehmenden Staaten. Es sei die "gemeinsame Aufgabe der gesamten demokratischen Welt", die Ukraine wieder aufzubauen, mahnte er.
Die dringendsten Reparaturen solle man trotz Kämpfen sofort in Angriff nehmen, etwa Wasserversorgung und Brücken. Denn die Ukraine habe bereits Infrastruktur im Wert von 100 Milliarden Dollar verloren.
Die ukrainische Regierung würde den Wiederaufbau gerne größtenteils mit russischem Geld finanzieren. Herangezogen werden sollten die rund 300 bis 500 Milliarden Dollar Vermögenswerte des russischen Staates und von Oligarchen, die weltweit eingefroren seien, sagte Schmyhal.
Juristen betonen, wie schwierig es ist, eingefrorene Vermögenswerte zu konfiszieren und auszugeben. Nötig wären unter Umständen Urteile vor internationalen Gerichten. Oligarchen müsste eine direkte Verantwortung für Beiträge zum Kriegsgeschehen nachgewiesen werden.
Sieben Prinzipien
Nach zwei Tagen Beratungen hat sich die Ukraine mit internationalen Partnern auf sieben Prinzipien für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes geeinigt. "Dies ist der Beginn eines langen Prozesses", sagte der Schweizer Bundespräsident Ignazio Cassis, Gastgeber der Konferenz. Das während der zweitägigen Konferenz Erreichte solle den Grundstein legen für mehr als nur den Wiederaufbau. Die in Lugano vollbrachte Arbeit sei eine Vorbereitung für die Zeit nach dem Krieg.
In der Erklärung geht es um die Verpflichtung auf einen demokratischen Prozess, an dem die ganze Gesellschaft teilhat, Gleichstellung der Geschlechter, die Einbindung privater Unternehmen, eine grüne Transformation hin zu einer CO2-freien Gesellschaft, eine digitalisierte Verwaltung und Aufbauprojekte frei von Günstlingswirtschaft und Bereicherung. "Der Wiederaufbauprozess muss transparent sein", heißt es darin. "Die Rechtsstaatlichkeit muss systematisch gestärkt und die Korruption ausgemerzt werden."
Österreich
Österreich, vertreten durch Europaministerin Karoline Edtstadler, zeigte sich bei der Konferenz einerseits solidarisch, mahnte andererseits aber eine Bringschuld seitens der Ukraine ein. "Die Unterstützung für die Ukraine ist nicht infrage zu stellen", betonte Europaministerin Edtstadler. Zugleich sei es "unerlässlich, dass die Reformen fortgesetzt werden".
Edtstadler strich in ihrem Statement vor den Konferenzteilnehmern das bisherige österreichische Engagement für die Ukraine und die bisher dafür aufgewendeten Mittel von mehr als 80 Millionen Euro hervor. Konkret erwähnte sie unter anderem Kapazitäten zur Unterbringung von mehr als 78.000 Flüchtlingen, die in Österreich geschaffen worden seien, und die Ausweitung der ÖBB-Bahntransporte zum Export ukrainischen Getreides, das wegen der Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen nicht wie vor dem Krieg auf dem Seeweg ausgeführt werden kann.
Zeichen der Solidarität
Wenn die Unterstützung für die Ukraine auch nicht infrage zu stellen sei, die Westbalkan-Staaten dürften bei der EU-Integration gegenüber der Ukraine nicht ins Hintertreffen geraten, strich die Ministerin gemäß der österreichischen Regierungslinie hervor. Auch die EU-Annäherung der Ukraine müsse auf Basis von Fortschritten erfolgen. Die Ukraine habe solche Fortschritte - etwa bei der Verwaltung oder bei der Korruptionsbekämpfung - gemacht. Das müsse aber so weitergehen.
Aus Sicht Edtstadlers soll die Konferenz durch hochrangige Präsenz auf Ministerebene vor allem "ein weiteres Zeichen der Solidarität" für Kiew sein, wie sie gegenüber der APA sagte. Weitere Zusagen von österreichischer Seite machte Edtstadler in Lugano nicht.
Eine klassische Geberkonferenz war das Wiederaufbauforum in Lugano nicht. Ziel der Konferenz war es vor allem, einen umfassenden und systematischen Plan zum Wiederaufbau der kriegsgebeutelten Ukraine auszuarbeiten, einen Plan zur Aufbietung und zum Einsatz bereits vorhandener und weiterer Geldmittel. Rund 40 Länder waren vertreten sowie rund 15 internationale Organisationen.
Ursprünglich sollte die Konferenz als fünfte, jährliche Ukraine-Reformkonferenz stattfinden. Die Ukraine sollte dabei mit ihren westlichen Partnern Reformen Richtung Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft erörtern. Der am 24. Februar begonnene Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat zu einer völligen Neuausrichtung und Umbenennung der Konferenz geführt. Nach Großbritannien im nächsten Jahr will Deutschland die Wiederaufbaukonferenz im Jahr 2024 ausrichten, wie die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze ankündigte.
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