AlsPete Buttigieg in einer Scheune in Fort Dodge mit Krawatte und aufgekrempelten Ärmeln seine Rede beginnt, geht Yvonne Witte das Herz auf. Die Augen leuchten, der Kopf nickt, die Hände finden zum Beifall zueinander.
„Stellt euch den Tag vor, wenn die Sonne aufgeht und er nicht mehr im Weißen Haus sitzt“, ruft der 38-Jährige den 300 auf Klappstühlen sitzenden Besuchern zu, denen an dem trüb-kalten Samstagmorgen im Bundesstaat Iowa der Sinn nach politischem Frühschoppen steht. Er, das ist Donald Trump. Buttigieg sagt: „Wir werden müde sein vom Kampf um die Seele Amerikas.“
Witte, 68, hat den jungen Außenseiter im Rennen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur unter anderem wegen solcher Sätze ins Herz geschlossen. „Er kann das von Trump kaputt geredete Land versöhnen“, sagt die Rentnerin, „ich spüre es, er ist der Richtige.“
Kandidaten-Palaver
Witte ist aber nicht der Regelfall. 40 Prozent der demokratischen Wähler in dem drei Millionen Einwohner zählenden Landwirte-Staat im Mittleren Westen sind laut Umfragen noch unentschlossen, wem der elf Kandidatinnen und Kandidaten sie ihr Vertrauen schenken sollen. Aber am Montag gilt’s. Dann trifft sich Iowa zum Kandidaten-Palaver. Caucus genannt.
Es ist der traditionelle Auftakt im nationalen Vorwahl-Marathon. Eingetragene Wähler kommen nach Sonnenuntergang in 1700 Stimmbezirken in Kirchen, Turnhallen, Schulen, Feuerwachen, Gemeindesälen und Privathäusern zusammen und entscheiden per Urabstimmung über den potenziell nächsten Präsidenten der USA.
Wer in Iowa gewinnt – Al Gore (2000) bis Hillary Clinton (2016) haben es vorgemacht – hat später meist auch die Kandidatur bekommen. Umgekehrt gilt: Wer hier auf den hinteren Plätzen landet, ist „toast“ – verbrannt.
Der kleine Staat im Mittleren Westen der USA ist ein Agrarstaat, bekannt für seine weitläufigen Maisfelder. Die etwas mehr als drei Millionen Einwohner gelten als sehr gläubig, gehören oft bibeltreuen, evangelikalen Kreisen an. Deutlich mehr als 90 Prozent sind Weiße.
Hauptstadt ist Des Moines, das im Zentrum Iowas liegt. Die Ostgrenze bildet der Mississippi.
Iowa macht mit seinem sogenannten „Caucus“ traditionell den Auftakt zu den Vorwahlen bei US-Präsidentschaftswahlen. Dem kleinen Staat ist damit zumindest alle vier Jahre internationale Aufmerksamkeit sicher.
Darum unterziehen sich die Bewerber bis zur letzten Minute einem bizarren Marathon, der sie in ihren Bussen kreuz und quer vorbei an abgeernteten Mais- und Sojafeldern und Getreidesilos Hunderte Meilen durchs Land gondeln lässt. Um Hände zu schütteln, Selfies zu knipsen, Reden zu halten und Wähler zu beeindrucken.
Dumm, dass Joe Bidens Bus in Marshalltown 30 Minuten feststeckt. Der Transporter einer TV-Crew steht im Weg. Der Alt-Vizepräsident kommt zu spät in die etwas schäbige Halle auf dem Kirmesplatz der Gemeinde.
Dort warten 125 Leute und sehr viel Platz. Biden füllt keine Arenen. Er löst auch keine Euphorie aus mit seiner manchmal verhaspelten Predigt über die „Wiederherstellung von Anstand und Würde nach Trump“. Der frühere Senator, 77 Jahre alt, „punktet mit Gleichmaß und Unaufgeregtheit“, sagt die 73-jährige Mary. Biden will das Anti-Serum sein, um das Trump-Virus einzudämmen.
Mit Programmatik und Konzepten hat er es nicht. Aber er hat den Enkel des Ex-Gouverneurs Tom Vilsack am Hosensaum: „Ich denke, Joe Biden kann es schaffen“, sagt der kleine Jake. Tosender Beifall.
Umfragen sehen Biden in Iowa in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit Bernie Sanders. Mit Abstand folgen Buttigieg und Elizabeth Warren.
Sanders lieferte sich 2016 in Iowa ein totes Rennen mit Hillary Clinton. Diesmal will er unbedingt gewinnen. Der Senator aus Vermont, mit 34 Millionen Dollar Spenden-Krösus unter den Demokraten gewesen, fährt die professionellste Wahlkampf-Maschine.
In der Universitätsstadt Ames lädt er in die alte Stadthalle ein. 900 Leute. Zum Bersten voll. Die meisten unter 25. Darum darf die angesagte Rock-Kapelle „Portugal. The Man“ aus Alaska einheizen.
„Revolution“
Nach dem letzten Gitarren-Riff schlurft Michael Moore auf die Bühne. Der linke Filme-Macher („Bowling for Columbine“) redet sich theatralisch in Rage. Gegen Donald Trump natürlich. Und für „Bernie“. Nur der werde halten, was er verspricht: kostenloses College, allgemeine Krankenversicherung, höhere Steuern für die Reichen. Kurzum: eine „Revolution“.
Darunter tut es auch der links-progressive Shooting-Star Amerikas nicht. Alexandra Ocasio-Cortez, 2018 jüngste Kongress-Abgeordnete in Washington geworden, leiht in Iowa dem Mann, der ihr Großvater sein könnte, ebenfalls ihre Popularität. Die Zeit für halbherzige Kompromisse, sagt sie, sei abgelaufen. Kurz darauf liegt sie sich mit dem Star des Abends in den Armen.
Bernie Sanders, selbst ernannter Sozialist, 78 Jahre alt, ist nach seinem Herzinfarkt im Herbst so fit wie ewig nicht. „Ohne radikale Schnitte gegen den Klimawandel, die Verarmung der Mittelschicht und das raubtierhafte Gebaren der Konzerne gibt es keine Zukunft“, schreit er in den Saal. Der Applaus ist ohrenbetäubend. Sanders sieht ein bisschen wie ein Sieger aus.
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