Warum Selenskij mit seinem NATO-Traum allein blieb

Als er schließlich selbst am Tisch saß, gab sich Wolodimir Selenskij friedlich. Zu begrüßen seien die Ergebnisse des NATO-Gipfels in Vilnius. meinte der ukrainische Staatschef. Seiner Enttäuschung machte er nur noch vorsichtig Luft. „Ideal“ wäre eine Einladung an sein Land zum NATO-Beitritt schon gewesen, und nicht nur eine vage Zusage für irgendeine Zukunft, wie er sie jetzt von den NATO-Regierungschef vorgesetzt bekommen hatte.
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Am Vortag hatte Selenskij noch per Twitter über die „absurde“ Entscheidung gewütet, damit würde die NATO Russland einladen „seinen Terror fortzusetzen“. Dann aber hatte sich US-Präsident Joe Biden den Ukrainer am Rand des Gipfels im Zwiegespräch vorgenommen. Dabei hatte er ihm offensichtlich die Hintergründe der US-Haltung deutlich gemacht. Wie die lautet, formulierte der US-Präsident schon kurz vor dem Gipfel gegenüber CNN sehr deutlich. Einen NATO-Beitritt der Ukraine jetzt voranzutreiben, sei „voreilig“. Damit riskierten auch die USA sich plötzlich „in einem Krieg mit Russland“ wiederzufinden.
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Modellfall Israel
Für politische Beobachter in den USA kommt es wenig überraschend, dass Biden jetzt auf die Beitritts-Bremse tritt. So hatte die New York Times schon vor Wochen berichtet, dass das Weiße Haus fieberhaft an Alternativen arbeitete, die der Ukraine den Rücken stärken würden, im Krieg gegen Russland und danach. Das Modell, wie es Biden auch im CNN-Interview offen ansprach, wird von einflussreichen Washingtoner Think Tanks seit Monaten ausgearbeitet. Es handelt sich um das sogenannte „Israel-Modell“. Das beruht – anders als die NATO-Mitgliedschaft – auf keinem Abkommen, sondern ist eine formlose Allianz. Die aber stützt sich auf Sicherheitsgarantien und vor allem Waffenlieferungen. Die USA aber haben in Israels Konflikte nie mit eigenen Truppen eingegriffen.
Armee neu aufgestellt
Vor allem aber bekommt Israel jährlich rund 3,8 Milliarden Dollar an US-Militärhilfe zugewiesen, ein Großteil für Waffentechnik und das Raketenabwehrsystem “Iron Dome“.
Ähnlich großzügig ist hat sich Washington zuletzt um die Ukraine gekümmert. Seit Jahren sind US-Militärberater damit beschäftigt, die ukrainische Armee völlig neu aufzustellen. Mit ein Grund für die für viele völlig überraschenden Erfolge gegen die russischen Angreifer.
Langstrecken-Raketen
Auch die Lieferung weiterer Waffensysteme ist in Planung. Gerade hat Biden angekündigt sogenannte „Streubomben“ zu schicken, eine eigentlich international geächtete Waffengattung. Bei den Europäern stieß er damit auf Ablehnung. Nun fordern einflussreiche US-Militärexperten, Langstrecken-Raketen zu schicken, damit die Ukrainer auch russische Militäreinrichtungen im Hinterland gezielt unter Beschuss nehmen könnten. Am Rande des Gipfels haben auch die G7-Staaten, also die größten westlichen Industrieländer, erklärt, „langfristige Sicherheitszusagen“ für die Ukraine „zu erarbeiten“.
Angriff der Republikaner
Eine fixe Zusage für einen NATO-Beitritt aber bleibt tabu. Zu heikel könnte die für Biden werden, der schon im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2024 steht.
Für den wahrscheinlichen Herausforderer Donald Trump wäre das ein leichtes Ziel, wirft er doch Biden ständig vor, die USA in einen Krieg hineingezogen zu haben. Eine NATO-Mitgliedschaft für welche Ukraine, in welchen Grenzen? Solche Bedenken kommen aus dem Lager von Bidens Demokraten. Die Republikaner, vor allem jene die Trump nahe stehen, sind da viel deutlicher. „Ukraine sollte nicht in der NATO willkommen sein, und das sollte Biden klar stellen“, meint man etwa beim konservativen Think Tank CATO-Institute: „Es ist hoch an der Zeit, die Tür zur NATO für die Ukraine zu schließen.“
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