Die AfD im deutschen Bundestag: Provokation als Prinzip
Sie sind meist vollzählig und applaudieren kräftig, wenn einer von ihnen am Wort ist: 92 Abgeordnete, zehn davon weiblich, sitzen seit sechs Monaten im Bundestag. An vorderster Front: Alexander Gauland und Alice Weidel. Noch am Wahlabend hatte er angekündigt: „Wir werden sie jagen.“ Gemeint war die Kanzlerin. Nun ein halbes Jahr später ist sie es noch immer. Und die AfD? Sie hat turbulente Zeiten hinter sich: Frauke Petrys Abgang, die Debatte um einen Bundestagsvizepräsidenten, den keine Fraktion wollte und eine „Schnittchen-Affäre“: Der Fraktionsgeschäftsführer Hans-Joachim Berg hatte für zirka zehntausend Euro belegte Brötchen bestellt und musste gehen. Nun soll laut Bild-Zeitung Martina Schenk, frühere Vertraute von Jörg Haider, bei der AfD anheuern, was diese als „Spekulation“ kommentierte. Auch ein ehemaliger Mitarbeiter aus dem Umfeld von Wolfgang Schäuble komme für den Posten infrage.
Es rumort also in der Partei, die Gauland einst als „gäriger Haufen“ bezeichnete. Auch heute sei man noch immer gärig, sagte er dem KURIER. „Natürlich setzt sich manche Gärung noch, aber ich würde nicht sagen, dass wir angekommen sind bei anderen Parteien.“ Und dafür sorgen sie im Bundestag selbst am besten: Wenn sich Abgeordnete ans Pult stellen, fallen Wörter wie „Völkerverschiebung“ oder „entartet", die die anderen Fraktionen in Rage bringen. Drei von vier Ordnungsmaßnahmen gingen bisher an die AfD.
„Trial and error“
Die Debatten sind rauer geworden, beobacht Fedor Ruhose, Geschäftsführer der rheinland-pfälzischen SPD-Fraktion, der für das „Progressive Zentrum“ eine Anleitung schrieb, wie mit der AfD umzugehen sei. Nach sechs Monaten ortet er eine „Trial-and-error-Phase“ im Bundestag: „Sie probieren bestimmte Dinge aus, aber eine klare Strategie hat keiner gefunden.“
Mal versuchen sie es mit inhaltlicher Diskussion, wie CDU-Mann Philipp Amthor, jüngster Abgeordneter, der den AfD-Antrag zum Verbot der Vollverschleierung zerpflückte und erklärte, er sei nicht verfassungskonform („Ein Viertel Ihrer Fraktion sind Juristen, diese Expertise findet sich in dem Antrag in keiner Weise wieder!“). Man dürfe keine Angst vor Auseinandersetzung haben, sagt der 25-Jährige. Er wäre auch für eine inhaltliche Diskussion gewesen, nur ist von der AfD kein Inhalt gekommen.
Sein Kollege von der SPD, Johann Saathoff, nahm sich die Rechten wiederum mit Humor vor. Auf den Antrag, Deutsch als Landessprache in die Verfassung zu schreiben, erklärte der gebürtige Ostfriese in seiner Heimatsprache Plattdeutsch, wie wichtig doch die Vielfalt aus den Regionen sei: Se doon so, as wenn man Angst hebben mutt daarvör, dat irgendeen van buten noch sien Influss in uns Spraak ringeven deit.
Wutrede
Weniger nach Spaß war Cem Özdemir von den Grünen zumute, ihm platzte vor einigen Monaten fast der Kragen. Als die AfD die Missbilligung von Texten des aus türkischer Haft entlassenen Journalisten Deniz Yücel forderte, wies er sie scharf zurecht („Sie verachten alles, wofür dieses Land in der ganzen Welt geachtet und respektiert wird“). Özdemir bezeichnete die AfDler als „Rassisten“ und erntete dafür viel Beifall, ebenso Kritik. Mit seiner Wutrede würde er die Rechten größer machen. Grüne-Fraktionschef Anton Hofreiter sieht dies anders: „Grenzüberschreitungen müssen auch als solche sichtbar werden.“ Denn: Die Grenzen dessen, was man sagen kann, immer weiter zu verschieben, rassistische, rechtsextreme Sprache wieder zu normalisieren, sei ein Ziel der AfD, so Hofreiter.
Die AfD sah sich nach Özdemirs Schelte als Opfer, kommunizierte dies in ihren sozialen Netzwerken. So ähnlich liest sich auch die Begründung, warum sie im Abgeordnetenhaus einen Newsroom bauen will, um ihre Kommunikation besser zu steuern. Es gäbe „Schwierigkeiten in den Medien angemessen vorzukommen“, sagt Gauland. Was er aber gerne erzählt: Die AfD habe den Parlamentarismus gestärkt, über Bundestagsdebatten werde wieder mehr gesprochen. Auch über den Umgang abseits der inhaltlichen Auseinandersetzung. Jürgen Trittin von den Grünen sei etwa immer freundlich zu ihm, obwohl er weiß, dass ihn dieser ablehne. "Trotzdem reden wir miteinander, so sind wie beide erzogen worden."
Wettbewerb
Fedor Ruhose warnt nun davor, dass sich unter den Fraktionen eine Art Wettbewerb entwickelt, nach dem Prinzip: Wer reagiert am besten auf die AfD. „Ich würde gerne einen demokratischen Wettbewerb darüber haben: Wer schafft es, die Themen ins Parlament zu bringen, die die Menschen interessieren, ohne dafür einen rechtspopulistischen Stichwortgeber zu brauchen.“
Darauf sollte sich die Große Koalition konzentrieren. „Sie hat jetzt die Chance, eine Anti-Populismuspolitik zu betreiben, mit realen Verbesserungen für die Menschen. Es hilft nicht, die gleichen Botschaften zu übernehmen, sie muss differenzierte Angebote machen.“ So helfe die Frage „Gehört der Islam zu Deutschland?“ im Alltag keinem Menschen. Es gehe darum, wie integriert man die Personen.
So schnell wird die größte Oppositionspartei aber nicht verschwinden. Regierungsarbeit strebt sie noch nicht an, erklärt Gauland: „Wir sind Opposition, wir müssen Opposition sein.“ Die AfD sei mit zwei Problemen konfrontiert: "Wir sind eine konservativ-liberale Reformpartei im Parlament, wir sind aber eng an den Bürgerbewegungen, die eine zu frühe Gemeinsamkeit mit den anderen für nicht gut halten würde." Allerdings ließ er wissen, dass die Entwicklungen in manchen ostdeutschen Ländern (im Herbst und Frühjahr 2019 stehen in Bayern, Hessen und Brandenburg Landtagswahlen an, Anm.) schneller voranschreiten könnten, als gedacht. "Darüber muss man neu nachdenken."
Was bisher nicht vorangegangen ist: der groß angekündigte U-Ausschuss zur Flüchtlingspolitik der Kanzlerin– es gäbe juristische Probleme, erklärt der AfD-Chef. Fakt ist: Die Partei kann ihn nicht thematisieren, weil sie in der betreffenden Legislaturperiode (also zur Zeit der Flüchtlingskrise) nicht im Parlament war. Ob sie das nicht vorher wusste? Diese Frage habe man sich nicht gestellt, andere aber auch nicht, so Gauland.
Hintergrund-Debatte: CDU-Flirt mit Linke und AfD?
Erst Bayern, dann Hessen und im Frühjahr Brandenburg: Noch bevor die nächsten Landtagswahlen über die Bühne gegangen sind, wird schon über mögliche Koalitionen und Bündnisse spekuliert.Den Anlass gab jüngst Ingo Senftleben, CDU-Chef in Brandenburg, wo im Frühjahr 2019 gewählt wird. Er will Ministerpräsident werden und hat Gespräche mit der Linken oder der AfD nach der Landtagswahl nicht ausgeschlossen. Auf Bundesebene sorgte diese Ansage für Aufruhr: Die CDU/CSU-Fraktion hat für diese Legislaturperiode eine inhaltliche Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen – und sieht dies auch für die Länder so vor. Einzelne Abgeordnete sprechen nun dagegen. Klaus-Peter Willsch, Bundestagsabgeordneter aus Hessen lässt via Spiegel wissen: „Eine Koalition hängt davon ab, ob die Radikalen dort die Führung übernehmen oder gemäßigte Kräfte.“
Brandenburg sei allerdings genau so ein Spezialfall, erklärt CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer: „Die AfD in Brandenburg ist sicherlich auch eine derjenigen, die sich in einer besonderen Art und Weise an den rechten, radikalen Rand bewegt, was per se aus meiner Sicht eine Zusammenarbeit verbietet.“
Andere CDUler, wie Philipp Amthor aus Mecklenburg-Vorpommern, stört die Diskussion prinzipiell: Die CDU müsse erst einmal auf ihr eigenes Profil achten, die Inhalte diskutieren, bevor sie von links nach rechts schaue, mit wem sie regieren könne. Und die Frage, ob die Partei an sich wieder konservativer oder bürgerlicher werden solle, sei dem Wähler letztlich egal: „Sie wollen, dass wir Probleme lösen.“
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