Seehofers Sommerstück: Provokation und vage Pläne

Seehofers Sommerstück: Provokation und vage Pläne
Mit vier Wochen Verspätung präsentierte der Innenminister seinen Plan zur Migrationspolitik - nicht den der Koalition.

Wenn er sich da nicht mal zu früh gefreut hat. Als Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) vergangene Woche das Ende des vorgezogenen "Sommertheaters" ausrief, blieben viele Beobachter skeptisch. Wochenlang stritten CDU/CSU über die Umsetzung der künftigen Asylpolitik, Horst Seehofer drohte mit Rücktritt, was fast die Fraktion und Koalition gesprengt hätte. Dann meldet sich auch der Koalitionspartner SPD und verlangte einen Ausschuss, doch statt Krawall gab es plötzlich einen Kompromiss: Selbst Seehofer trat zufrieden vor die Presse und lobte den Pakt ("Das ist alles von A bis Z, so wie man sich das als zuständiger Bundesinnenminister wünscht"), ließ aber einen Tag später via Spiegel wissen: Sollte es keine bilateralen Vereinbarungen geben, wird man darauf zurückgreifen, direkt an der Grenze abzuweisen. Und spätestens mit der Einladung zur Vorstellung von Horst Seehofers viel diskutierten "Masterplan Migration", also Vorstellungen zur Migrationspolitik, war allen klar, da kommt noch was. 

>>Der Masterplan im Wortlaut

Heute Vormittag, Punkt 10 Uhr, öffnet der Innenminister seinen Vorhang. Die Bühne: Ein Konferenzsaal im Innenministerium in Berlin-Moabit, dort sitzt Seehofer in der Mitte, ihm gegenüber die Fotografen und Kameraleute, seitlich die Journalisten, viele von ihnen bekamen keinen Platz mehr. Auf zwölf Bildschirmen wird ihnen der Minister übertragen, damit er in jedem Winkel sicht- und hörbar ist. Zu sagen hat er einiges, ganze zwei Stunden lang. Doch zuvor lächelt der 69-Jährige zufrieden in die Kameras, als wäre nichts gewesen. Nun hält er jenes Papier in der Hand, das er eigentlich am 12. Juni vorstellen wollte, dessen Präsentation aufgrund eines Dissens mit der Kanzlerin verschoben wurde. Doch auch vier Wochen später bieten die 23 Seiten eine Menge politischen Zündstoff, das wird beim Durchblättern schnell klar.

Ebenso, als Seehofer ankündigt, dass sein Plan mit Stand vom 4. Juli ist - einen Tag später einigten sich CDU/CSU auf einen Asylkompromiss mit der SPD. Doch diese Vereinbarungen vom 5. Juli fanden keinen Eingang in seinen Plan. Aber, so Seehofer: "Es handelt sich ohnehin um einen Plan des Bundesinnenministers, nicht der Koalition."

Seehofers Sommerstück: Provokation und vage Pläne

Provokation? "Wenn Sie das so sehen wollen"

Das wird vor allem beim umstrittenen Punkt zu den Rückführungen von Asylsuchenden deutlich: „Wir richten dafür Transitzentren ein, aus denen die Asylbewerber direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden“, steht im Masterplan. Nun ist seit dem Kompromiss mit der SPD klar, dass es keine "Transitzentren" geben wird bzw. dieser Begriff abgelehnt wird, weil er suggeriert, dass es sich um große, gefängnisähnliche Lager handelt - und das sei gar nicht geplant. Migranten, die bereits in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben, sollen in unmittelbarer Nähe der deutsch-österreichischen Grenze ein „Transitverfahren“ durchlaufen. Sie sollen in Einrichtungen nahe der Grenze oder direkt am Flughafen festgehalten werden, binnen 48 Stunden wolle man prüfen, wo die Menschen erstmals einen Asylantrag gestellt haben, dann sollen sie dorthin gebracht werden.

Gefragt, warum Seehofer diesen Begriff dennoch weiter verwendet bzw. ob er provozieren will, gibt er sich gelassen, lächelt süffisant und verneint. Nachsatz: "Aber, wenn Sie das so sehen wollen". Warum er den Plan denn nicht überarbeitet hat? Er habe ihn schlicht nicht fortschreiben wollen - sonst werde er ja nie fertig. Es werde immer wieder Maßnahmen geben, die könne man nicht alle nachtragen. Zudem könne er sich nicht vorstellen, dass die SPD alle 63 Punkte von ihm übernehme. "Das wäre eine Welturaufführung".

All das legt eine Lesart nahe: Seehofer hat hier tatsächlich "seinen" Plan präsentiert. Sollten die bisher besprochenen Maßnahmen aus dem Asylkompromiss nicht in Kraft treten oder er nach einem desaströsen Ergebnis der CSU bei der Landtagswahl in der Kritik stehen, wird er sein Papier hervorkramen und damit winken: Er hätte ja die Absicht gehabt alles umzukrempeln, aber die anderen haben nicht mitgezogen - ihnen wird also der Schwarze Peter zugeschoben.

Einfach wird die Umsetzung jedenfalls nicht - vor allem für die SPD. Denn der Masterplan sieht weniger integrative sondern abschreckende Maßnahmen vor: So will Seehofer für Asylsuchende, die in Ankerzentren untergebracht sind, eine Umstellung von Geldleistungen zu Sachleistungen. Damit muss er aber nicht nur beim Koalitionspartner durch, auch bei den Ministerpräsidenten der Bundesländer. "Mit denen muss man halt reden", gibt sich Seehofer zuversichtlich. Redebedarf gibt es auch mit der Opposition, wenn der Minister mehr Menschen abschieben und Maghreb-Länder als sichere Herkunftsstaaten einstufen will. Bei diesem heiklen Thema entscheidet der Bundesrat, er lehnte das Gesetz zur Einstufung bisher ab. Und ausgerechnet da beginnt Seehofer vor der Presse zu witzeln: "An meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir so nicht bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden."

Der "böse Seehofer"

So viel zu Seehofers Humor. Dass ihn die heftigen Reaktionen an seiner Person nicht kalt lassen, zeigt sich gestern ebenfalls. Er verfolge genau, was über ihn geschrieben wird. Er wies einzelne Journalisten auf Titel zu ihren Geschichten hin, der Grundtenor ist aus seiner Sicht: "Den bösen Seehofer nennen, das ist ja gerade in Mode". Ebenso wie jemanden als Psycho zu beschreiben oder ihm eine Persönlichkeitsstörung zu unterstellen - damit reagiert er auf die Bemerkung eines Reporters, dass ein Weggefährte Seehofer als zweiten Trump bezeichnet habe.

Und so wie es der US-Präsident schafft, im Gespräch zu bleiben, wird es auch von Seehofer weiter zu erwarten sein. Schon alleine wegen seiner bevorstehenden Aufgaben: Denn das zentrale Vorhaben der Koalition, die Rückführung von Flüchtlingen zu beschleunigen, steht und fällt mit den bilateralen Vereinbarungen, die er unter anderem mit Griechenland, Italien und Österreich aushandeln muss. Wie viel Zeit er sich dafür geben wird? In etwa vier Wochen soll klar sein, in welche Richtung es geht, glaubt er zu wissen. Was passiert, wenn all das nicht klappt? Der Minister hält sich bedeckt. Ob er dann erneut mit Rücktritt droht oder ihn gar vollzieht? Ein Reporter will zum Schluss wissen, wie oft ein Minister mit Rücktritt drohen könne, ohne sich lächerlich zu machen? Seehofer: „Ach, da setzt die Kunst keine Grenzen.“

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