Seehofers halber Abschied: "So kann Neustart nicht gelingen"
Solange es nicht vor laufender Kamera aus seinem Munde kam, wollte es kaum einer glauben. Doch die vierte Ankündigung, sollte die letzte sein: „Ich werde das Amt niederlegen“, erklärte Horst Seehofer am Rande eines Termins in Görlitz. Kurz bevor sein ehemaliger Rivale Markus Söder in München sein neues Kabinett vorstellen wollte. Diesen Triumph wollte Seehofer seinem Konkurrenten offenbar nicht ungetrübt lassen.
Vor einem Jahr musste er ihm bereits den Chefsessel in der Staatskanzlei überlassen, blieb Parteivorsitzender und führt nebenbei seit knapp sechs Monaten das Innenministerium, das zu eine Art Superressort wurde: Bau, Heimat, Inneres. Es sei eine Doppelbelastung, die dem 69-Jährigen zu viel sei; und Themen, die ihn eigentlich nicht interessierten, munkelte man in Berlin. Doch davon wollte Seehofer gestern nichts wissen. „Ich bin Bundesinnenminister und werde das Amt weiter ausüben“, ließ er wissen. Also jenes Amt, das ihm viel Kritik einbrachte, dem Land mitunter zwei Regierungskrisen.
Streitbar
Dabei böte es viele Chancen, gerade in einem Land, das bei bestimmten Themen gespalten wirkt. Doch schon nach Amtsantritt zündete er eine Gehört-der-Islam-zu-Deutschland-Debatte, ohne daraus konstruktive Vorschläge abzuleiten. Mit viel Getöse kündigte er wenig später seinen „Masterplan Migration“ an. Doch ehe er ihn vorstellte, brach er einen Streit mit der CDU vom Zaun und drohte mit Rücktritt, was fast die Fraktion und Koalition gesprengt hätte.
Der Grund: Kanzlerin Angela Merkel sah in Seehofers Vorhaben, Menschen direkt an der Grenze abzuschieben, politisches Gefahrenpotenzial. Sie pochte auf eine europäische Lösung. Nach einem Ultimatum, einigte man sich auf einen Kompromiss. Allerdings ließ Seehofer keine Gelegenheit aus, diesen weiter schlechtzureden. Oder um Sprüche rauszuhauen, wie über 69 Flüchtlinge, die just an seinem 69. Geburtstag abgeschoben wurden.
Und anstatt sich dezidiert zu den Ausschreitungen Rechtsextremer in Chemnitz zu äußern, ließ er wissen, dass er Verständnis für die Demonstranten habe. Und erklärte gleichzeitig die Migrationsfrage zur „Mutter aller Probleme“ in Deutschland. Nebenbei hielt er seine schützende Hand über den Chef des Verfassungsschutzes, der mit umstrittenen Äußerungen auffiel – und eine weitere Regierungskrise auslöste.
Das erregte nicht nur Ärger in der Opposition, auch beim Koalitionspartner SPD lagen die Nerven blank. Dort trommelten einige Genossen fortan für Seehofers Rücktritt als Minister. Nach seiner gestrigen Erklärung, ließ SPD-Vize Thomas Oppermann wissen: Mit Seehofer im Amt könne ein Neustart der Koalition nicht gelingen.
Wenig Selbstkritik
Und Seehofer selbst? Er fühlte sich missverstanden, warf Medien vor, ihn zu diffamieren: Er sei weder krank noch streite er ständig – und überhaupt sei es der Hammer, dass er als „Terror-Mensch“ dargestellt werde. Dabei bezog er sich auf eine Spiegel-Coverstory, die ihn mit dem Titel „Der Gefährder“ beschrieb. All das müsse man hinnehmen und verkraften, erklärte er kurz nach der Bayern-Wahl. Dass die CSU dort schwere Verluste einstecken musste, lag auch an Seehofers Auftreten in Berlin, waren sich Funktionäre und Mitglieder am Wahlabend einig.
Bis auf die Stilfrage im Streit mit der Kanzlerin zeigte er bis dato wenig Selbstkritik. Immer wieder berief er sich auf seine Überzeugungen, "die könne ihm niemand nehmen", sagt er etwa während einer Wahlkampfkundgebung in seiner Heimatstadt Ingolstadt. Nach der Wahlniederlage stellte er klar, dass diese "nicht auf einer Person festzumachen ist, "das muss eine ganze Mannschaft tragen".
Seehofer war immer einer, der aus dem Bauch heraus entschieden hat und beratungsresistent war, sagt einer, der ihn seit 20 Jahren beobachtet. Schon als Gesundheitsminister berief er spontan Pressekonferenzen ein oder bunkerte sich in einem Apartment ein, berichtete der Kenner. Diese Strategie hat sich in Berlin fortgesetzt, wo zunehmend der Eindruck entstand, er arbeite auf eigene Rechnung gegen die Kanzlerin. Ob er diesen Kurs weiter fortsetzt – Seehofer sieht noch ein großes Werk vor sich, erklärte er vor knapp zwei Wochen – ist noch nicht auszumachen. Gut möglich, dass ihn der Gedanke etwas beseelt, Angela Merkel könnte noch vor ihm abdanken.
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