Sechs Monate Revolutionsbewegung im Iran: „Freiheit, Freiheit, Freiheit“

Sechs Monate Revolutionsbewegung im Iran: „Freiheit, Freiheit, Freiheit“
Ein halbes Jahr nach Beginn der Revolutionsbewegung scheint das Vorankommen zäh. Im Hintergrund haben sich starke Kämpfer für den Sturz des Mullah-Regimes formiert.

„Habt keine Angst, wir halten zusammen“, hört man im Vorfeld zum persischen Neujahrsfest, das am Montag gefeiert wird, wieder öfter auf den Straßen Irans. Genauso wie „Freiheit, Freiheit, Freiheit“ und vor allem „Tod dem Diktator, Tod für Ali Khamenei“ (religiöses Oberhaupt und höchste Instanz des Landes). Gleichzeitig gehen Videos von jungen Frauen viral, die in der Öffentlichkeit und ohne Kopftuch tanzen – all das ist in der Islamischen Republik strafbar, doch die Frauen wollen sich diese Freiheit nicht mehr nehmen lassen.

Ein halbes Jahr nach dem Tod von Jina Mahsa Amini, der als Auslöser für die Proteste gilt, ist der Wille für den Sturz des Mullah-Regimes ungebrochen, und dennoch spürt man in den sozialen Medien Angst, dass der Weg zum Ziel länger dauern könnte als gehofft. Die Umfrage eines renommierten Instituts hatte im Dezember ergeben, dass nur noch 15 Prozent der Bevölkerung im Land zum Regime halten und nur noch 14 Prozent glauben, dass es sich an der Macht halten kann.

Allerdings hatten die Iraner auf mehr internationale Unterstützung gehofft. Doch Europa hält am Atomabkommen fest, welches den Mullahs wieder Geld in die Kassen spült. Nicht nur, weil das Regime bei jedem Zögern mit der Anreicherung von Uran droht, sondern letztendlich wohl auch, weil etliche europäische Doppelstaatsbürger als Druckmittel im Iran festgehalten werden. Die Islamische Republik akzeptiert nicht, wenn jemand eine andere Staatsbürgerschaft annimmt und behält sich vor, über jeden zu verfügen, dessen Vater Iraner war. Zuletzt wurden die Todesurteile über einen deutschen und über einen schwedischen Iraner bestätigt, ihnen droht jederzeit die Hinrichtung. Auch drei Österreicher werden im Iran festgehalten, einer davon hat nicht einmal iranische Wurzeln.

Glaubwürdigkeit leidet

Im Land kracht es weiterhin an allen Ecken und Enden. Der iranische Toman ist auf einem Rekordtief, und die Normalbevölkerung kann sich kaum noch das Essen auf dem Teller leisten. Arbeiter und Pensionisten, die ihre Zahlungen nicht bekommen, protestieren auf der Straße.

Seit Wochen sorgen Giftgasanschläge in Mädchenschulen für Angst und Schrecken. Gleichzeitig verliert das Regime in der Bevölkerung immer mehr an Glaubwürdigkeit: So können Gesichtserkennungsprogramme Frauen identifizieren, die ohne Kopftuch unterwegs sind, und ihnen SMS mit Verwarnungen zustellen. Die Verantwortlichen für die Giftgas-Anschläge wurden bisher nicht gefunden.

Kein Wunder, wenn die Bevölkerung davon überzeugt ist, das Regime stecke selbst dahinter, weil die Angriffe vor allem jene Schulen getroffen haben, an denen die Proteste gegen die Mullahs besonders laut waren.

Neue Fakten

Dazu kommen neue Fakten zu den Todesumständen der kurdischen Iranerin Jina Mahsa Amini, die nun von der britischen Times veröffentlicht wurden. Demnach bestätigen Zeugen nicht nur, dass sie von der Sittenpolizei auf den Kopf geschlagen wurde: Als sie zusammenbrach, sollen sich die Wächter über die „Bollywood-Schauspielerin“ lustig gemacht haben. Als andere festgenommene Frauen um Hilfe schrien, wurden sie geschlagen – erst nach 45 Minuten soll ein Krankenwagen gerufen worden sein. Die Hilfe kam für die junge Kurdin letztendlich zu spät. Mit ihrem Tod am 16. September begannen die Proteste, und ihr Name wurde zum Codewort für die Revolutionsbewegung.

„Charta Mahsa“

Während im Land jeder Aufstand gewaltsam niedergeprügelt und -geschossen wird, hat sich im Ausland eine starke Opposition formiert. Eine Koalition aus prominenten Exil-Iranern – darunter der Sohn des letzten Schahs, Reza Pahlavi, und die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi – nennt sich „Allianz für Demokratie und Freiheit in Iran“ und will als internationales Sprachrohr für die Iraner fungieren. Dieser Tage wurde die „Charta Mahsa“ veröffentlicht, die den Sturz der Islamischen Republik fordert und die Grundpfeiler für einen demokratischen Iran nennt. Nobelpreisträgerin Ebadi hielt gestern dazu eine Rede vor dem EU-Parlament und forderte abermals, die berüchtichten Revolutionsgarden auf die Terrorliste zu setzen.

Das klare Signal an die Weltpolitik: Die iranische Opposition ist weder unorganisiert noch führungslos. Und hat möglicherweise mehr Handschlagqualität als das bisherige Regime.

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