Scholz, Draghi, Macron in der Ukraine: Eine gute und viele schlechte Nachrichten
Zur Begrüßung gab es gleich Luftalarm: Kaum waren Donnerstagfrüh Olaf Scholz, Emmanuel Macron und Mario Draghi aus ihrem Sonderzug nach Kiew ausgestiegen, gingen die Sirenen los.
Dreißig Minuten lang – und am Nachmittag erneut – bekamen der deutsche Kanzler, Frankreichs Präsident und der italienische Regierungschef hautnah zu spüren, dass russische Raketen noch immer jederzeit in der ukrainischen Hauptstadt einschlagen können.
Und es erinnerte sie sofort daran, was die Ukraine am dringlichsten einfordert: mehr schwere Waffen, die Anerkennung als EU-Beitrittskandidat und vor allem kein Ende der westlichen Unterstützung in ihrer Verteidigung gegen die russische Aggression.
So versicherte Scholz dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij: „Wir wollen nicht nur Solidarität demonstrieren, sondern auch versichern, dass die Hilfe, die wir organisieren, finanziell, humanitär, aber auch wenn es um Waffen geht, fortgesetzt werden wird.“ Man werde die Unterstützung so lange fortsetzen, „wie das nötig ist für den Unabhängigkeitskampf der Ukraine“.
Ruf nach Waffen
Wochenlang war der deutsche Kanzler kritisiert worden, dass er Kiew nicht schon früher besucht hatte. Zaudern, Zögern und ein Hinausziehen der versprochenen schweren Waffenlieferungen war ihm vorgeworfen worden. Doch Scholz hatte abgewehrt: Für Foto-Gelegenheiten sei er nicht zu haben. Wenn er nach Kiew reise, „geht es um Konkretes“.
Bei diesem „Konkreten“ drifteten die Erwartungen gestern in Kiew stark auseinander: Bisher habe die Ukraine erst zehn Prozent der vom Westen versprochenen schweren Waffen bekommen, beklagte ein ukrainischer Offizier.
Präzise Versprechen, wie viele Waffen Deutschland, Frankreich und Italien noch liefern werden, gab es aber gestern auch von dem europäischen Spitzen-Trio nicht. In allen drei Ländern werden die Bedenken lauter: Die fortgesetzten Waffenlieferungen würden den Krieg in der Ukraine nur verlängern – und das Sterben nähme kein Ende.
Zwar versicherte der französische Präsident Macron: „Es geht um eine Botschaft der europäischen Einheit, adressiert an die Ukrainerinnen und Ukrainer, sowie der Unterstützung, um zugleich über die Gegenwart und Zukunft zu sprechen, weil wir wissen, dass die nächsten Wochen schwierig werden.“
Den Krieg beenden
Doch die osteuropäischen Länder, im Einklang mit der Ukraine, sehen die Lage ganz anders: Die Ukraine müsse dringend mit allen nötigen schweren Waffen versorgt werden. Und vor allem dürfe die Ukraine nicht gezwungen werden, den Verlust der Krim und des Donbass einfach zu akzeptieren.
Einig sind sich Ost- und Westeuropa derzeit nur in ihrer düsteren Einschätzung der militärischen Lage: Im Spätsommer oder im Herbst wird die ostukrainische Donbassregion endgültig von der russischen Armee erobert sein.
Vor dem Besuch von Scholz, Macron und Draghi war deshalb die Sorge im ukrainischen Präsidentenpalast groß, dass die Drei aus dem Westen die Ukraine zu Verhandlungen mit Moskau drängen. „An einem bestimmten Punkt wird das Gewehrfeuer aufhören müssen und Gespräche müssen aufgenommen werden“, sagte Macron.
Kandidatenstatus
Ein Gastgeschenk als gute Nachricht brachten die Drei aus dem Westen sowie der mitgereiste rumänische Präsident Klaus Johannis dennoch mit: Die Ukraine solle recht schnell ein offizieller EU-Beitrittskandidat werden. Scholz, Macron und Draghi sprachen sich in Kiew offen dafür aus. Die Empfehlung dafür dürfte heute auch die EU-Kommission in Brüssel abgeben.
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