Schmerzmittel-Krise in den USA: "Dealer im weißen Mantel"

Der Feldzug gegen süchtig machende Opioide richtet sich jetzt vor allem gegen Ärzte.

Dr. Denver Tackett hatte eine besonders zugkräftige Methode, um seine Patienten mit jenen Pillen zu füttern, die zur größten Drogenkrise aller Zeiten in Amerika beigetragen haben: Der Dentist aus McDowell im Bundesstaat Kentucky zog mindestens sechs Patienten gesunde Zähne, um sie danach gegenüber der Krankenversicherung mit Rezepten für das Heroin-ähnliche Oxycodon eindecken zu können.

Pillen gegen Sex

Marshall Plotka, ein Allgemein-Mediziner aus Alabama, versorgte von ihm bestellte Prostituierte in seinem Privathaus in Huntsville mit dem gleichen Schmerzkiller – und machte sie so zu seinen Patientinnen. Jeffrey Young schließlich, ein Arzthelfer aus Jackson/Tennessee, der sich "Rock Dock" nennt, verschrieb gegen sexuelles Entgegenkommen binnen drei Jahren allein 1,4 Millionen "Painkiller", ohne dass der zuständige Arzt interveniert hätte.

Drei Beispiele von Dutzenden, die jetzt durch eine beispiellose Aktion des Justizministeriums in Washington und einer Spezialeinheit von Staatsanwälten und Fahndern in von der Opioid-Krise besonders betroffenen Bundesstaaten wie Kentucky, Ohio, Tennessee, West Virginia und Alabama öffentlich wurden. Nach detektivischer Kleinarbeit verhafteten die Behörden 60 Personen, darunter 31 Ärzte, sieben Apotheker und acht Arzthelfer.

Milliardärs-Familie

Sie seien dafür verantwortlich, dass binnen kurzer Zeit 350.000 illegale Rezepte in Umlauf kamen, mit denen 32 Millionen Schmerztabletten eingelöst wurden, erklärten die Ankläger. Darunter ist auch der Markt-Führer "Oxycontin". Ein Produkt des Pharma-Herstellers Purdue. Gegen die Firma sind nach Justiz-Angaben rund 2000 Klagen aus mehr als 30 Bundesstaaten anhängig.

Purdue, im Besitz der durch ihr Kunst-Mäzenatentum weltbekannten Milliardärs-Familie Sackler, wird beschuldigt, die Risiken des Medikaments vertuscht zu haben. Mit Hilfe eines Heeres von Vertretern habe Purdue "Oxys" auch dann noch aggressiv in den Markt gedrückt, als in den USA – wie 2017 – bereits 50 000 Tote durch Überdosen beklagt wurden, sagt Maura Healey, die Generalstaatsanwältin des Bundesstaates Massachusetts. Dabei hatten sich drei Manager von Purdue schon 2007 schuldig bekannt, das extreme Sucht-Potenzial von Oxycontin verharmlost zu haben. Strafe damals: 630 Millionen Dollar.

Dass Ärzte und die im US-Gesundheitssystem mitunter wie Ärzte agierenden Arzthelfer für Purdue & Co. die entscheidenden Schleusenwärter sind, nutzte ein Staatsanwalt zu einer brachialen Kritik. Die Verhafteten seien "Drogenhändler im weißen Mantel".

Ohne Untersuchung

Was die Fahnder bei der Vorstellung ihrer Ermittlungen ausbreiteten, spricht in der Tat dem hippokratischen Eid Hohn. Durch die Bank gingen die Beschuldigten sträflich lax mit den Pillen um, die binnen weniger Tage süchtig machen. Einige hatten Blanko-Rezepte in ihren Praxen auf Lager. Andere verabreichten die Pillen ohne Formalitäten an Facebook-Freunde. So gut wie nie wurden Patienten vor der Verschreibung untersucht.

Ein Arzt aus Ohio hatte in seiner Praxis eine Apotheke eingerichtet, um die Pillen schneller an den Kunden bringen zu können. Nebenwirkung: 5000 Dollar Extra-Verdienst im Monat.

Bei dem ersten Vorstoß dieser Art konzentrierten sich die Behörden auf die Region der Appalachen; ein ländliches, sozial und strukturell schwaches Gebiet, in dem das Gesundheitswesen seit Ewigkeiten chronisch krank ist und das Drogen-Elend besonders dramatisch. Eine Ende 2018 von Präsident Trump ins Leben gerufene Sondereinheit widmet sich allein dem Missbrauch bei Verschreibungen.

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