"Wir sind in einem globalen Konflikt"
Schallenberg ist zum ersten Mal in der ukrainischen Hauptstadt, seit Putin diesen Menschen ihre Heimat geraubt hat. Er wird am Mittwoch Präsident Wolodimir Selenskij treffen, mit seinem Amtskollegen Dmytro Kuleba sprechen, so wie bei seinem letzten Besuch, kurz bevor Putin seine Panzer Richtung Westen rollen ließ. Damals sprach Schallenberg noch von "Dialog".
Heute sind die Zeiten anders. "Die Welt ist nicht mehr dieselbe", sagt Schallenberg bei der Abreise, der etwas verzweifelten Hoffnung von damals ist trauriger Fatalismus gefolgt. Ein "blutiger Abnutzungskrieg" finde auf ukrainischem Boden statt, sagt er. Putin setze dazu noch "in vollem Zynismus Nahrung und Energie als Kampfmittel ein" – das habe es nicht mal in der Sowjetunion gegeben. "Wir befinden uns – unausgesprochen – schon in einem globalen Konflikt".
Genau das macht diese Reise auch so kompliziert. Obwohl in der Ukraine "täglich Zivilisten umgebracht werden", wie Schallenberg sagt, gebe es in Europa angesichts von hohen Energiepreisen, Teuerung und Inflation eine "Stimmung in der Bevölkerung, die sich ändert"; Lipavský nennt das treffend "Müdigkeit". In einigen Ländern Europas, auch Österreich, finden lange nicht mehr alle, dass die Sanktionen das richtige Mittel gegen Putin seien – die Gräben werden tiefer und tiefer.
Ursache und Wirkung
Dass es da Debatten gibt, werden Selenskij und Kuleba wohl schon wissen, die Frage ist nur: Wie geht man damit um? An den Sanktionen rütteln wolle in Europa niemand, sagt Schallenberg. Lipavský spricht davon, dass die Tschechen die Ukraine fraglos weiter unterstützen werden, sie liefern massenhaft Waffen, Panzer, schweres Gerät.
Klar ist aber auch, dass mit dem Thema in Europa Wahlen gewonnen werden. Wichtig sei daher die Umkehr des Narrativs, das von Russland geschickt verbreitet wird: Schuld an der Teuerungs-Misere seien weder die Ukraine noch die Sanktionen aus Europa, sondern einzig und allein Putin, sagt Schallenberg. Er sei es, der die Getreidelieferungen blockiere und so eine globale "Hangabrutschung" inklusive neuer Migrationsströme provoziere, der handle wie ein "Irrer", wie der Tscheche Lipavský sagt – Ursache und Wirkung würden hier verdreht. Russland könnte problemlos Getreide aus eigener Produktion exportieren, denn die EU habe kein einziges Nahrungsmittel mit Sanktionen belegt, sagen beide. Grund der Misere sei daher einzig und allein "der Krieg", sagt Schallenberg. "Und Putin kann ihn morgen beenden, wenn er will."
Nur: Das wird nicht so schnell passieren – und das wissen beide. Schallenberg sagt selbst, russische Kollegen hätten ihm bestätigt, dass sie von Verhandlungen derzeit nichts hielten, dass Moskau "Fakten auf dem Gefechtsfeld schaffen" wolle. "Die Mühen der Ebenen kommen erst."
Das Ziel in Kiew also? Die Ukraine bei dem zu unterstützen, was in nächster Zeit noch kommt. Bis zu dem Punkt, bis "Putin diesen Krieg verliert", wie Schallenberg es ausdrückt. Lipavský formuliert es ein wenig anders. Die Tschechen wollen nicht nur, dass Putin verliert, sondern "dass die Ukraine gewinnt" - und dass einzig allein Kiew vorgibt, wann dieser Sieg erreicht ist.
Ein kleiner Unterschied, der den europäischen Kampf um die Ukraine wohl auch noch bestimmen wird.
Kommentare