Wenn ein Pornostar die Zarin herausfordert

Nein, Billy Herrington war nie in Odessa, er hatte auch sonst mit der Ukraine und ihrer Geschichte nichts am Hut. Ihm auf dem zentralen Platz der Hafenstadt Odessa ein Denkmal zu errichten, ist also ein ziemlich seltsames Anliegen für ein Volksbegehren. Dass sich der Online-Petition innerhalb weniger Tage mehr als 25.000 Menschen anschlossen, hat wohl weniger mit dem verstorbenen schwulen Pornostar zu tun als mit dem Denkmal, das dafür gestürzt werden soll: Jenes von Zarin Katherina der Großen.
Die Regentin, so steht es im Text der Petition, mit dem sich jetzt der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij auseinandersetzen muss, habe „der ukrainischen Staatlichkeit und Kultur großen Schaden zugefügt“ und müsse weg.
"Neurussland"
Tatsächlich eroberte Katharina im 18. Jahrhundert einen Gutteil der heutigen Ukraine, die so Teil des russischen Zarenreiches wurden. Der Begriff „Neurussland“ entstand, den Wladimir Putin heute wieder verwendet, um deutlich zu machen, dass die Geschichte der beiden Länder ohnehin nicht zu trennen sei.
Ende der Freundschaft
Genau diese Trennung aber versucht die Ukraine jetzt konsequent zu vollziehen. In der Hauptstadt Kiew etwa ist das monumentale Denkmal der russisch-ukrainischen Freundschaft in diesem Frühjahr demontiert worden. Übrig blieb nur ein riesiger Bogen aus Metall, der von jetzt an „der Freiheit des ukrainischen Volkes“ gewidmet sein soll.
Der Bürgermeister Kiews, Vitali Klitschko, erklärte vor den Trümmern der Statue: „Wir müssen den Feind und den russischen Besatzer aus unserem Land vertreiben.“ Allein in der Hauptstadt sollen 60 weitere Gedenkstätten, die an Russland und die Sowjetunion erinnern, verschwinden, Hunderte werden es in der ganzen Ukraine sein.

Das zerstörte Denkmal der Freundschaft in Kiew
Tolstoi muss abtreten
Es geht nicht nur um Denkmäler aus den Zeiten der Sowjetunion, auch Gassen und Plätze, die seit den Zeiten des Zarenreichs die Namen russischer Herrscher, Fürsten oder Künstler tragen, sollen umbenannt werden. Ausnahmen soll es nur geben, wenn der jeweilige Künstler einen persönlichen Bezug zur Stadt oder zum ganzen Land hat, wie etwa der russische Nationaldichter Alexander Puschkin, der über Odessa geschrieben hat.
Völkermord?
Viele Kapitel der ukrainischen Geschichte sind auch in Zeiten der Sowjetunion aus russischer Perspektive geschrieben worden: So etwa der „Holodomor“, der millionenfache Hungertod vor allem ukrainischer Bauern in den 1930ern. Ausgelöst wurde der durch die Politik des sowjetischen Diktators Josef Stalin, der nicht nur die Bauern in staatliche Kollektive zwang, sondern auch ukrainischen Weizen lieber exportieren ließ, als damit die eigene Bevölkerung zu ernähren. Bis heute gilt der „Holodomor“ in Russland nicht als Völkermord.
Die Ukraine aber will ihn in Zukunft als genau diesen darstellen. Auch andere blutige Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine sollen von Historikern ausführlicher beleuchtet und so Teil einer eigenständigen ukrainischen Geschichtsschreibung werden: So etwa die Niederschlagung von Aufständen der Kosaken durch russische Zaren.
Vergleich mit Zar Peter
Von einer „historischen Einheit“ Russlands und der Ukraine spricht und schreibt Putin nicht erst seit Kriegsbeginn. Dabei bezieht er sich bewusst nicht auf die Sowjetunion, sondern auf das Zarenreich, vergleicht sich selbst mit Zar Peter dem Großen und seinem „Zurückholen“ russischer Erde.
„Putins Wahn“ nennt das der ukrainisch-kanadische Historiker Serhy Yekelchyk in einem Beitrag für das US-Magazin Politico. Der russische Präsident würde ganz bewusst auf das Zarenreich zurückgreifen. Damals hätten Russlands Herrscher die Ukrainer als Teil der russischen Nation und ihre Sprache schlicht als russischen Dialekt betrachtet: „Die Wahrheit aber ist viel komplizierter.“
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