Wie das US-Wirtschaftsmagazin Bloomberg berichtet, sollen die saudischen Monarchen das Projekt klammheimlich eingedampft haben. Inzwischen gehe man in Riad davon aus, bis 2030 gerade einmal 2,4 Kilometer der "Line" bauen und höchstens 300.000 Menschen darin aufnehmen zu können, berichtet ein anonymer, hochrangiger Mitarbeiter. Beide Zahlen seien noch "optimistisch geschätzt", heißt es.
Geschätzte Kosten stiegen verdreifachten schon nach einem Jahr
Ein erwartbarer Grund dafür ist, dass der Traum der Zukunftsstadt schlicht zu teuer wurde. Die Kosten des gesamten Projekts - aller drei Stadtteile inklusive des weltgrößten Wasserstoffkraftwerks sowie einer Brücke über das Rote Meer - hatte das Königshaus ursprünglich mit 500 Milliarden US-Dollar beziffert. Inzwischen geht man, nur ein Jahr nach Beginn der Bauarbeiten, von der dreifachen Summe aus.
Den überwältigenden Teil der Kosten stellt der saudische Staatsfonds (Public Investmend Fund), dessen Geldreserven momentan auf rund 15 Milliarden Dollar geschmolzen sein sollen - den niedrigsten Stand seit Beginn der Corona-Pandemie 2020. Hintergrund des Schritts dürften also die Budgetverhandlungen für das Jahr 2024 gewesen sein.
Was bedeutet das für die Fußball-WM und die Weltausstellung?
Grundsätzlich soll "The Line" wie geplant errichtet werden, nur eben deutlich langsamer. Doch die Verzögerung des Projekts könnte zum Reputationsschaden für den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (kurz: MbS) werden. Das Königshaus ist sich bestens bewusst, dass die Quelle des saudischen Reichtums, die gewaltigen Öl- und Gas-Reserven des Landes, bei derzeitigem Verbrauch noch in diesem Jahrhundert versiegen werden.
Der 38-jährige MbS, der für seinen schwer kranken Vater, König Salman, die Geschäfte führt, präsentierte deshalb vor Jahren das "Vision 2030"-Programm: Eine Menge von Infrastrukturprojekten, die das Königreich wirtschaftlich auf eine Zukunft ohne Bodenschätze vorbereiten sollen. Teil dieser Vision ist auch, Großveranstaltungen ins Land zu holen, um den Tourismus anzukurbeln - das ist gelungen: Saudi-Arabien bekam unter anderem den Zuschlag für die Weltausstellung 2030 und die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer 2034.
Das Prestigeprojekt der Vision 2030 war jedoch stets NEOM. Als eine Art Generalprobe für größere Events sollen schließlich in Trojena, dem künstlichen Skiresort, das an einem Ende der "Line" im Landesinneren gebaut wird, die asiatischen Winterspiele 2029 ausgetragen werden. Es ist fraglich, ob das Königshaus mit dieser Veranstaltung jetzt, wo die NEOM-Pläne derart zurückgefahren werden, die Welt so beeindrucken kann wie erhofft - selbiges gilt für spätere Großevents.
Auch konkrete Konsequenzen sind durch die Verzögerung schon jetzt zu spüren: Ein internationaler Baukonzern zog bereits tausende Arbeiter von der "Line" ab. Die saudische Regierung will das nicht bestätigen, doch Bloomberg bekam glaubwürdige Dokumente zugespielt, die das bestätigen.
Immerhin verspricht das Königshaus, andere Stadtteile von NEOM bis 2030 fertiggestellt zu haben. Die Insel Sindalah im Roten Meer etwa, die unmittelbar vor einem Ende der "Line" als Luxus-Tourismusdestination dienen soll, wird laut Plan noch in diesem Jahr eröffnet. Zumindest, wenn nichts mehr dazwischenkommt.
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