Rettungsschwimmerin und Netflix-Heldin auf der Anklagebank

Eigentlich war das Schlauchboot für sieben Personen ausgelegt. Sarah Mardini und ihre Schwester Yusra hingegen saßen mit 18 weiteren Flüchtlingen darin, als sie über die Ägäis nach Lesbos gelangen wollten, auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien. Plötzlich fiel der Motor aus, das Bott drohte zu sinken. Sarah und Yusra, bis zu ihrer Flucht Schwimmerinnen im syrischen Nationalteam, sprangen ins Mittelmeer und zogen das Boot stundenlang an einem Tau hinter sich her bis an die Küste Lesbos’. Danach gelangten die damals 20-jährige Sarah und ihre 17-jährige Schwester nach Berlin. Yusra schwamm weiter, und ging 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro an den Start.
Ihre Flucht und der Erfolg bei Olympia machten die Mardinis weithin bekannt – im Vorjahr verfilmte Netflix ihre Lebensgeschichte, unter anderem mit dem deutschen Schauspieler Matthias Schweighöfer als Schwimmtrainer.
Was Netflix nicht erzählt: 2016 kehrte Sarah Mardini zurück nach Lesbos, um als Freiwillige für die Hilfsorganisation Emergency Response Centre International (ERCI) zu arbeiten. Die Organisation unterstützt unter anderem im Camp Moria. Die griechischen Behörden vergleichen ERCI mit einem Schlepperring.
In Griechenland steht die mittlerweile 27-jährige Sarah Mardini deswegen vor Gericht; die griechische Justiz wirft ihr und 23 weiteren Flüchtlingshelfern Spionage, Zusammenarbeit mit organisierten Schleppern, Geldwäsche und gesetzwidrige Nutzung von Funk-Frequenzen vor.

Neben Sarah Mardini sind 23 weitere Personen, darunter der Rettungsschwimmer Sean Binder (links), angeklagt.
Mardini wurde im August 2018, als sie nach Deutschland zurückkehren wollte, am Flughafen Lesbos festgenommen. Erst nach dreieinhalb Monaten Untersuchungshaft, unter anderem mit dem ebenfalls angeklagten, deutsch-irischen Rettungsschwimmer Sean Binder, kam Mardini gegen 5.000 Euro Kaution frei und konnte nach Deutschland zurückkehren.
Politisch motiviert?
Der Prozess hatte bereits 2021 begonnen, war jedoch wegen Verfahrensfragen vertagt worden; nun wird er fortgesetzt. Die Angeklagten bestreiten die Vorwürfe. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht von einem "politisch motivierten Prozess", dessen Ziel es sei, Hilfsorganisationen einzuschüchtern. Amnesty International nennt den Prozess eine "Farce": Das Verfahren werde absichtlich verschleppt, um Nichtregierungsorganisationen von Rettungseinsätzen abzuschrecken. Ein Untersuchungsbericht des Europaparlaments bezeichnet den Prozess als "größten Fall der Kriminalisierung von Flüchtlingssolidarität in Europa".

November 2021: Sean Binder protestiert gemeinsam mit Amnesty International in Athen gegen den Prozess.
Mardini selbst kann sich vor Gericht nicht verteidigen, weil gegen sie ein Einreiseverbot verhängt wurde. Sie wird von einer Anwältin vertreten. Im Falle einer Verurteilung drohen ihr bis zu 25 Jahre Haft.
Ihre Schwester Yusra, die auch bei Olympia 2020 in Tokio antrat, kämpft als UN-Sonderbotschafterin für Geflüchtete weiter: "Mir geht es darum, das Bild zu korrigieren, das viele Menschen von Flüchtlingen haben."
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