Rauchschwaden über dem Gelände des AKW Saporischschja, Krater von Einschlägen, Glutnester – Videos belegen: In den vergangenen Tagen war das größte Atomkraftwerk Europas definitiv Ziel von Angriffen.
Die Antwort auf die Frage, wer dafür verantwortlich ist, verschwindet im Nebel des Krieges. Sowohl Kiew als auch Moskau beschuldigen einander, beide Seiten wollen Beweise dafür haben, dass sie es nicht waren. International wächst die Sorge vor einer Nuklearkatastrophe, UN-Generalsekretär Antonio Guterres warnte etwa: "Jeglicher Angriff auf ein nukleares Kraftwerk ist eine selbstmörderische Sache." Offiziell stimmte Moskau einer Untersuchung durch die Internationale Atomenergiebehörde zu, nur um gleichzeitig der ukrainischen Regierung vorzuwerfen, dass sie eine Inspektion verunmögliche.
Die russischen Streitkräfte, die das Kraftwerk zu Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine einnahmen, verstärken derzeit die Luftabwehr rund um den Meiler, in dem bis Kriegsbeginn 11.000 Ukrainer arbeiteten. Nach wie vor dürften Tausende weiterhin dort beschäftigt sein.
Kein "Super-GAU"
Experten stufen das Risiko eines Super-GAUs allerdings als gering ein: "Im Gegensatz zum Reaktor von Tschernobyl ist jener von Saporischschja in einem stark verstärkten Stahl- und Betongebäude untergebracht, das gegen Naturkatastrophen oder von Menschen verursachte Ereignisse wie Flugzeugabstürze oder Reaktorunfälle schützen soll“, sagt etwa Mark Wenman, Nuklearexperte am Londoner Imperial College.
"Auch wenn es besorgniserregend erscheinen mag und jegliche Kämpfe auf einem Nukleargelände nach internationalem Recht illegal wären, ist die Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften Freisetzung von Kernbrennstoffen immer noch gering."
Währenddessen bringen sich 60 Kilometer westlich des Atomkraftwerks seit Wochen sowohl ukrainische als auch russische Streitkräfte in Stellung. Berichte über eine ukrainische "Gegenoffensive im Raum Cherson" haben sich bis dato nicht bewahrheitet. Viel mehr bereiten die Truppen den Angriff vor, beschießen russische Stellungen sowie Brücken über den Fluss Dnepr mit Artillerie. Dieses sogenannte "Shaping" soll die Voraussetzungen für eine Offensive schaffen. Der Financial Times erklärten ukrainische Vertreter indes, man habe nicht genügend Kapazitäten, bereits jetzt einen Angriff zu starten – es sei wahrscheinlicher, dass dieser erst 2023 erfolgen könne.
Zu diesem Zeitpunkt könnte es bereits zu spät sein, denn auch die russischen Truppen vermehren ihre Angriffe im Raum Cherson – und ziehen seit Juni mehr Truppen zusammen.
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