Kurz am Salzburger EU-Gipfel: Ohne Brexit-Deal droht Schaden

Kurz am Salzburger EU-Gipfel: Ohne Brexit-Deal droht Schaden
Im Vorfeld des Gipfels wurden auch Forderungen nach einem Brexit-Sondergipfel im November laut.

Zu Beginn des Gipfels der EU-Staats- und Regierungschefs in Salzburg ist die Stimmung bei internationalen Beobachtern gedämpft. Bei dem Treffen soll vor allem über die EU-Migrationspolitik und dne Brexit beraten werden, ein Durchbruch wird aber nicht erwartet, da einige Staaten den jüngsten Vorschlägen der EU-Kommission "noch etwas skeptisch" gegenüberstehen, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) der Tageszeitung Der Standard sagte.

Wenn es nach Kurz geht soll in Salzburg soll der Beschluss des neuen Frontex-Mandats im Dezember vorbereitet werden. EU-Ratspräsident Donald Tusk attackierte jene Staaten, die das Migrationsthema für "politische Spiele" missbrauchen.

Bei einigen Staaten gebe es noch Souveränitätsbedenken wegen des von der EU-Kommission vorgeschlagenen Frontex-Mandats sagte Kurz am Mittwoch bei einem Treffen der Europäischen Volkspartei (EVP) im Vorfeld des EU-Gipfels. Dies gelte vor allem für Spanien, Italien und Griechenland, kaum jedoch für Ungarn.

Die Bedenken seien auch bezüglich der dann erforderlichen Registrierung von Migranten, sagte Kurz. Er unterstütze den Vorschlag von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, Frontex bis 2020 auf 10.000 Mann aufzustocken und das Mandat auszuweiten, "zu hundert Prozent". "Wir hoffen, ein Maximum dessen durchzusetzen", sagte Kurz in Hinblick auf den Gipfel. Er deutete die Möglichkeit für weitere Flexibilität und Anpassungen des Entwurfs an.

Gipfel neben dem Gipfel

Noch vor Beginn des Gipfels fanden am späten Nachmittag Treffen der zwei größten Fraktionen im EU-Parlament - der Europäischen Volkspartei (EVP) und der Sozialdemokratischen Partei Europas ( SPE) - statt. Beim EVP-Gipfel sind neben Kurz und ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer auch Joseph , der Präsident der EVP und einige EU-Regierungschefs und Oppositionsführer der Europäischen Volkspartei vertreten. Aus Brüssel reisen die Präsidenten der Kommission, des Rates und des Parlaments – Donald Tusk, Jean-Claude Juncker und   Antonio Tajani – sowie der EU-Kommissar Johannes Hahn an. Auch der mögliche Spitzenkandidat der EVP, Manfred Weber, und der Generalsekretär der EVP, Antonio Lopez-Isturiz sowie  Brexit-Chefverhandler Michel Barnier ist nach Salzburg gereist.

In einem Pressegespräch vor dem Gipfel erklärte Daul, Wohlfühlen in Europa und Schutz der Mitbürger seien die erklärten Ziele. Beim Thema Migration müsse man vor allem in die Hilfe vor Ort in Afrika investieren, um die Menschen dort zu halten. Kurz schloss sich dem an und betonte einmal mehr, wie wichtig der Außengrenzschutz sei. Auch beim Thema Schlepperei müsse man mit den nordafrikanischen Ländern besser zusammenarbeiten.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude forderte mehr Solidarität in der Flüchtlingspolitik. Wer keine Flüchtlinge aufnehme, müsse sich "in Sachen Solidarität bewegen", sagte Juncker am Mittwochabend in Salzburg.

Kern mit Spannung erwartet

Mit Spannung wurde der Auftritt von SPÖ-Chef Christian Kern, der als möglicher gemeinsamer Spitzenkandidat der EU-Sozialdemokraten gehandelt wird, bei den sozialdemokratischen Gipfelteilnehmern erwartet. Erster offizieller Programmpunkt des Gipfels sollte ein Abendessen der 28 Staats- und Regierungschefs in der Felsenreitschule sein. Dabei wollten die EU-Chefs auch über den Stand der Brexit-Verhandlungen sprechen, in denen derzeit fieberhaft nach Kompromissformeln für die Streitpunkte Irland und die Teilnahme Londons am EU-Binnenmarkt gesucht wird. EU-Gipfelpräsident Donald Tusk schlug in einem ersten Statement in Salzburg vor, einen Brexit-Sondergipfel im November abzuhalten.

Auch Kanzler Kurz hatte vor dem Gipfel betont, dass ein Deal zwischen Großbritannien und der EU absolut notwendig sei, alles andere wäre zum Schaden beider Seiten. Auch in Österreich hätte ein Nicht-Deal mit London Auswirkungen auf die Wirtschaft und auf Arbeitsplätze. "Wir bemühen uns sehr, einen Kompromiss zu finden", sagte der Kanzler. EU-Chefverhandler Michel Barnier habe bereits einen Schritt auf Großbritannien zugemacht, er erwarte nun auch von London Kompromissbereitschaft. Kurz bekräftigte erneut, dass beim Gipfel ein Brexit-Sondergipfel im November vorgeschlagen wird. Auf Nachfragen präzisierte Kurz, dass er mit größerem Schaden für Großbritannien im Fall einer Nicht-Einigung rechnet. "Ein No Deal und ein harter Brexit wäre schwierig für Europa, aber schrecklich für Großbritannien." Es wäre aber eine Lose-Lose-Situation. Ein Kompromiss sei besser für beide Seiten.

400 Demonstranten auf der Straße

Während sich in der Felsenreitschule die 28 Staats-und Regierungschefs der EU zum gemeinsamen Abendessen trafen, haben rund 400 Demonstranten die inhumane Grenz- und Abschottungspolitik der EU kritisiert. Beim "Marsch der Verantwortung" machten sie auf jene 30.000 Flüchtlinge aufmerksam, die in den vergangenen 25 Jahren auf der Flucht nach Europa gestorben sind.

Es sei zynisch, dass die Regierungschefs ihren Gipfel mit "Sicherheit" betiteln, dem Sterben im Mittelmeer aber zusehen würden, sagte Alina Kugler vom Bündnis Solidarisches Salzburg. Auf Transparenten und Plakaten wurde zudem gegen die Kriminalisierung der Rettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer durch NGOs protestiert. "Mr. Kurz, how many people have you ever saved", stand etwa auf einer Tafel zu lesen.

An der Spitze des Protestzugs - es waren mehr als doppel so viele Teilnehmer gekommen wie von den Veranstaltern erwartet - wurden Schilder mit Namen der 30.000 auf der Flucht nach Europa ums Leben gekommenen Menschen getragen. Während des einstündigen Marsches vom Stadtteil Lehen in die Altstadt wurden zudem die dokumentierten Todesfälle von Flüchtlingen verlesen. "30. April 2018. Sechs Tote. Fünf Männer, ein Baby. Herkunft unbekannt. Ihre Leichen wurden in Libyen gefunden."

Die Aufzählung nimmt während des ganzen Protestzugs kein Ende. Männer, Frauen, Kinder, Babys. Ertrunken in Grenzflüssen oder im Mittelmeer. Verdurstet in der algerischen Wüste. Tot aufgefunden in überladenen Flüchtlingsbooten. Von Lkws überrollt. Ermordet. Vier Stunden lang wäre das Tonband der Veranstalter gewesen - ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit.

Zu einer unmittelbaren Konfrontation mit den Staatsgästen des EU-Gipfels kam es am Mittwochabend nicht. Der Zug endete zu weit von der Felsenreitschule entfernt. "Drinnen dinieren die Regierungschefs, draußen sterben die Menschen", hatte Kugler das am Vormittag noch knapp kommentiert.

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