Links, rechts, Wagenknecht: 19 Prozent und viele AfD-Wähler?
Die Linke streitet weiter, die Gerüchte um eine Parteigründung werden immer konkreter. Was eine Wagenknecht-Partei könnte und woran es (noch) scheitert.
Bundestagsabgeordnete sollten ihre Arbeit im Parlament machen, in Ausschüssen und im Wahlkreis, Linke-Politiker sollten zudem bei Streiks und Protesten präsent sein. "Das muss Priorität haben, das gilt auch für Sahra Wagenknecht."
Linken-Chefin Janine Wissler ist wütend über ihre (Noch-)Parteikollegin. Grund dafür sind Wagenknechts Einnahmen im vergangenen Jahr neben ihren Abgeordnetendiäten (10.674,28 Euro brutto pro Monat plus Zuschüsse) von rund 750.000 Euro, wie der Spiegel berichtete.
Dass Wagenknecht den Bundestag vernachlässigt, stimmt: Seit den Bundestagswahlen im September 2021 war sie 29 von 89 Sitzungstagen abwesend, hat namentlich an nur 35 von 67 Abstimmungen teilgenommen. Das ist die schlechteste Bilanz im ganzen Bundestag.
Eine Inaktivität bei Protesten kann man Wagenknecht aber nicht vorwerfen, zumindest nicht bei ihren eigenen: Man denke nur an ihre umstrittene Friedensdemo mit Frauenrechtlerin Alice Schwarzer in Berlin Ende Februar mit laut Polizei 13.000, laut Veranstalter rund 50.000 Teilnehmenden.
Seitdem brodelt die Gerüchteküche heißer denn je: Wird Wagenknecht, die schon damals von einer "Bewegung" sprach, eine eigene Partei gründen?
Mutmaßungen sind seit dem Wochenende keine mehr notwendig: Im ZDF sagte die 53-Jährige zu, bis Ende des Jahres eine Entscheidung darüber fällen zu wollen. Eine Wiederkandidatur für die Linke 2025 hat sie bereits Anfang März ausgeschlossen.
"One-Woman-Show" reicht nicht
"Dass sich Wagenknecht 2025, da wird sie 56 Jahre alt sein, aus der Politik zurückzieht, ist unwahrscheinlich – einerseits wäre sie zu jung für den politischen Ruhestand, andererseits würde das zu einem political animal wie Wagenknecht nicht passen", so der Politikwissenschafter und Linke-Experte Hendrik Träger von der Uni Leipzig zum KURIER.
Träger betont auch, was die Ex-Linke-Fraktionsvorsitzende selbst im ZDF-Interview eingestand: Eine "One-Woman-Show" reiche nicht für den Erfolg einer neuen Partei. "Es braucht Inhalte und Organisation. Letzteres ist etwas, wo es bei Wagenknecht schwächeln könnte. Sie beherrscht Politik, aber das Händchen für organisatorisches Netzwerken scheint ihr ein bisschen zu fehlen."
Abseits von Wagenknechts bekannter Position bezüglich Krieg in der Ukraine ist unklar, welche Inhalte ihre Partei vertreten würde: In der Vergangenheit hat sie sich für die Begrenzung von Zuwanderung, vor allem Arbeitsmigration, ausgesprochen, die Corona-Maßnahmen der Regierung vehement kritisiert und gegen identitätspolitische, progressive Meinungen sogenannter "Lifestyle-Linken" gestellt. Ökonomisch bezeichnet sich Wagenknecht als "Marxistin", sieht die "konzerngesteuerte Globalisierung" als Bedrohung und fordert eine "gerechte Steuerreform mit einer deutlichen Entlastung niedriger und mittlerer Einkommen".
Potenzial, aber keine Prognose
In aktuellen Umfragen könnten sich 19 Prozent der Befragten vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen – vergleichsweise mehr Wähler aus dem Osten und bisher eher für die AfD stimmend als aus dem Westen und der Linken nahe. Träger relativiert jedoch: "Es gibt das Potenzial, ja, das heißt aber nicht, dass es völlig ausgeschöpft wird."
Einer Studie der linken Rosa-Luxemburg-Stiftung zufolge liegt das Potenzial der Linken bei einem ähnlichen Niveau – und trotzdem pendelt sie in Umfragen bei knapp unter fünf Prozent, Nach der Wahlrechtsreform könnte sie bei der nächsten Wahl aus dem Bundestag fallen – ganz gleich ob mit oder ohne Wagenknecht.
Am meisten würde eine Wagenknecht-Partei jedoch der AfD schaden: "Wagenknecht könnte jene Wähler abgreifen, die aus Protest und Unzufriedenheit die AfD wählen, und sich als neue Protestpartei positionieren – etwas, was die Linke nach 30 Jahren im Bundestag und in vier Landesregierungen vertreten nicht mehr schafft. Wagenknecht könnte die AfD Richtung zehn Prozent drücken."
Links oder rechts?
Die Gretchenfrage, die sich in der ganzen Debatte stellt: Wäre eine Wagenknecht-Partei dann dem linken oder rechten Spektrum zuzuordnen? "Ich glaube, Sahra Wagenknecht weiß das selbst nicht so genau. Sie ist sicherlich nicht auf der Linie der AfD, wie es manche Kritiker von ihr sehen, aber auch nicht so links, wie sich das die Linke wünscht", so Träger.
Als Generalprobe für die Partei könnte, so Träger, die Europawahl im Frühling 2024 dienen, bei der eine niedrigere Sperrklausel als bei der Bundestagswahl gilt. Auch bei den ostdeutschen Landtagswahlen Sachsen, Brandenburg und Thüringen im nächsten Jahr könnte eine Wagenknecht-Partei Erfolg haben.
Showdown in Sicht
Bevor es aber so weit ist, dürfte sich die Linke weiterhin in Streitigkeiten wiederfinden: Partei-Urgestein Gregor Gysi will nach eigenen Angaben weiterhin zwischen der Parteispitze und Wagenknecht vermitteln. Er sei dagegen, dass Wagenknecht eine neue Partei gründe, denn "das wäre ja eine Konkurrenz zu meiner eigenen Partei".
Alle Zeichen stehen jedoch auf Showdown: Linke-Co-Vorsitzender Martin Schirdewan sei nach eigenen Angaben mittlerweile "stinksauer" wegen der andauernden Spekulationen über eine Parteiabspaltung, es sei "verantwortungslos", "parteischädigend" und "respektlos gegenüber den vielen Tausend Mitgliedern vor Ort, die sich tagtäglich für die Linke einsetzen".
Auch Gysi sagte im ZDF-Interview, es gehe nicht, "dass wir uns monatelang mit dieser Frage beschäftigen und uns nicht inhaltlich konzentrieren auf die Fragen, die notwendig sind". Wer eine neue Partei gründen wolle, solle das tun "und nicht die Partei ewig quälen".
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