Seine Geschichte ging um die Welt: Die Bürger der 2.500-Einwohner-Gemeinde Ostelsheim wählten den 29-jährigen Ryyan Alshebl aus Syrien zu ihrem neuen Bürgermeister, seit Juli ist er nun im Amt. Er hat aber auch Ideen über die Dorfgrenzen hinaus. Dem KURIER erzählte er sie per Videotelefonat – in fließendem Deutsch, mit leicht schwäbischem Dialekt.
KURIER: Herr Alshebl, wie wird ein einst syrischer Flüchtling zum Bürgermeister einer kleinen Gemeinde im Schwarzwald?
Alshebl: Mit einer Mischung aus Elan, Engagement, Glück und toleranten Bürgern, die bereit sind zu sagen: „Wir wählen auch jemanden, der nicht hier aufgewachsen ist, weil er in unseren Augen das bessere Konzept hat.“
Heißt das, dass harte Arbeit allein nicht reicht, oder ist ein Weg wie Ihrer für alle Flüchtlinge möglich?
Nicht alle haben Interesse daran. Das ist ein Job, mit dem ein gewisser Lifestyle einhergeht, der den heutigen Vorstellungen nicht entspricht – eine Work-Life-Balance gibt es kaum.
Aber wird es Menschen mit Migrationshintergrund, die es wollen, besonders schwer gemacht?
Als ich mich für die Kandidatur entschieden habe, habe ich mit deutlich mehr Widerstand gerechnet, vor allem vom rechten Rand. Natürlich habe ich Hassmails erhalten und unangenehme Begegnungen im Wahlkampf gemacht. Ich weiß, dass meine Partei (Die Grünen, Anm.) hier im konservativ geprägten, ländlichen Raum nicht die beliebteste ist. Und es gab das Lager, das sagte: „Ein Syrer als Bürgermeister? Auf keinen Fall!“ Aber es war alles viel milder als erwartet und ich suche noch immer nach den Gründen, warum.
Haben Sie eine Vermutung?
Die Menschen hier sind zwar mehrheitlich politisch konservativ, aber das bedeutet nicht, dass sie rassistisch sind. Wenn ihnen jemand ein Angebot schmackhaft macht, muss ein gewaltiger Grund vorliegen, dass sie es ablehnen. Dass ich nicht von hier komme, hat da für die meisten wohl nicht gereicht.
Bei einer Dorfbürgermeisterwahl spielt Sympathie eine wichtige Rolle, die Inhalte können sich nicht gravierend unterscheiden – alle wollen eine neue Ortsmitte, einen funktionierenden Kindergarten. Entscheidend ist, wie man sie vermarktet. Ich habe einen Häuserwahlkampf gemacht, bei allen geklingelt. Von meinem Vorgänger waren viele müde.
Ryyan Alshebl trat bei der Wahl in Ostelsheim als parteiunabhängiger Kandidat an, privat ist er jedoch Mitglied bei den Grünen.
Mit 21 Jahren verließ er sein damaliges Heimatland Syrien, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Über den Libanon gelangte er in die Türkei, dann mit einem Schlauchboot auf die griechische Insel Lesbos.
Seit seiner Wahl wird Alshebl als ein Beispiel dafür gesehen, dass Integration funktioniert. Seine Fans in Ostelsheim schätzen an ihm, dass er bei den Gemeindefesten stets präsent ist.
Sie sind 2015 in Deutschland angekommen, während der Flüchtlingskrise. Hat die Regierung Merkel damals richtig gehandelt?
Was soll ich darauf schon antworten, als jemand, der unmittelbar davon profitiert hat? Natürlich, sonst wäre ich nicht reingekommen. Das war mutig und wenn ich mich meinen Klischees von damals bedienen wollte, würde ich sagen: Das hätte ich den Deutschen nicht zugetraut.
Besonders beeindruckt hat mich das hohe Engagement der Flüchtlingshelfer. Heute sieht das anders aus, aber es war für mich der entscheidende Schlüssel zum Deutschlernen und das wiederum war der Schlüssel zur Mehrheitsgesellschaft. Im Hinblick auf die Bürokratie kann man über die Flüchtlingspolitik durchaus diskutieren.
Was ist mit dem Engagement passiert?
Viele von denen, die mir damals geholfen haben und mit denen ich bis heute befreundet bin, haben keine Nerven und Ressourcen mehr dafür. Es bräuchte mehr politische Unterstützung und eine grundsätzliche Erneuerung der Integrationskonzepte.
Die Landkreise in Baden-Württemberg haben eine Art Arbeitspflicht für Geflüchtete gefordert. Davon halte ich gar nichts. Ich bin dafür, dass man bei jenen, die über drei oder vier Jahre Bürgergeld beziehen, eine Art Sozialpflicht einführt. Und wir meiden eine Diskussion darüber, ob man das nicht für alle Nicht-Erwerbstätigen einführen sollte und nicht nur für Geflüchtete.
Werden Sie auch etwas tun, um Migranten in Ostelsheim besonders zu unterstützen?
Ich biete Sprechstunden für sie an. Manche sind bereits auf mich zugekommen und haben Bereitschaft gezeigt, trotz Sprachschwierigkeiten tätig zu werden.
Was ich festgestellt habe, auch außerhalb von Ostelsheim: In den allermeisten Flüchtlingsunterkünften sind die Menschen depressiv. Das ist auch deshalb schwierig anzugehen, weil Psychotherapeuten hier in der Regel nur Deutsch und Englisch sprechen. Da bräuchte es eine nationale Strategie.
Sie sind noch jung. Können Sie sich vorstellen, irgendwann in die Landes- oder Bundespolitik zu wechseln?
Ja, aber meine Amtszeit endet erst 2031. Bis dahin habe ich genug Zeit, darüber zu spekulieren.
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