Putin: Muskelspiel da, Liebeswerben dort

Russlands Präsident provoziert mit Militärmanövern und hochgefährlichen Aktivitäten, wie ein Bericht belegt. In China sucht Putin einen Partner.

Das Aufklärungsflugzeug kam quasi aus heiterem Himmel – und das rettete den 132 Menschen im Passagierjet der schwedischen Fluglinie SAS das Leben. Nur die gute Sicht an diesem Junitag vor der schwedischen Küste ließ die SAS-Piloten das russische Militärflugzeug rechtzeitig erkennen und abdrehen. Ihre Position, wie in Friedenszeiten eigentlich verpflichtend, hatten die Russen einfach nicht gemeldet.

Nur einer von 40 dramatischen Zwischenfällen, die ein soeben veröffentlichter Bericht des sogenannten "European Leadership Network" ELN in London anführt. Die Expertenrunde, zusammengesetzt aus ehemals führenden Verteidigungs- und Außenpolitikern aus ganz Europa, führt darin verschiedenste Beispiele militärischer Aktivitäten Russlands an (mehr dazu hier). Was diese allerdings alle gemeinsam haben: sie erinnern fatal an die Zeit des Kalten Krieges zwischen Ost und West. Die Palette reicht von Luftraumverletzungen im Baltikum durch russische Kampfjets, russische Luftwaffen-Manöver mit Raketentests unmittelbar vor der kanadischen Küste bis hin zur Entführung eines estnischen Geheimdienst-Agenten an der Grenze zu Russland, also auf dem Territorium der NATO.

"Gefährliches Spiel mit dem Feuer", so der Titel des Berichts, der zusammenfassend von "außergewöhnlich aggressivem und ernstem militärischem Verhalten" spricht, "das die Gefahr einer militärischen Eskalation erhöht – und das inmitten der ernstesten Sicherheitskrise, die Europa seit dem Kalten Krieg erlebt". Noch deutlicher wird eines der führenden Mitglieder des ELN, der britische General John McColl, ehemals Vize-Oberbefehlshaber der NATO in Europa: "Das Potenzial eines Fehlers und einer nachfolgenden Eskalation ist extrem hoch und gefährlich – das ist nur noch eine Frage des Zeitpunkts." Die Autoren fordern in ihrer Analyse Russland offen auf, "die Kosten und möglichen Risiken einer Fortsetzung dieser militärischen Politik der Stärke" zu überdenken."

"Das Potenzial eines Fehlers und einer nachfolgenden Eskalation ist extrem hoch..."

John McColl, Britischer General

Putin: Muskelspiel da, Liebeswerben dort
Russia's President Vladimir Putin speaks as he takes part in the APEC CEO Summit at the China National Convention Centre (CNCC) in Beijing November 10, 2014, part of the Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC) Summit. REUTERS/Wang Zhao/Pool (CHINA - Tags: POLITICS BUSINESS)
Doch die Militärführung in Moskau macht keinerlei Anzeichen, auf einen versöhnlicheren Kurs umzuschwenken. Russland hat vielmehr seine Manöver im Umfeld der Krisenregion Ukraine deutlich verstärkt, etwa im Schwarzen Meer und in der Nordsee. Russische, mit Atombomben bestückte Kampfbomber kreisen im Umfeld des Nordpols. Erst vor wenigen Tagen testete man eine Interkontinentalrakete. Im Gegenzug hat die NATO erst kürzlich Großmanöver in Polen und dem Baltikum abgehalten und kündigt weitere in ganz Osteuropa an.
Putin: Muskelspiel da, Liebeswerben dort
The label "Army of Russia" marks a used package of meal found on a battlefield near Starobesheve, controlled by pro-Russian separatists, in eastern Ukraine October 1, 2014. The burnt-out remains of dozens of tanks and armoured vehicles in fields near the small village of Horbatenko bear witness to the ferocity of a battle that turned the tide of the conflict in eastern Ukraine. Among the debris, Reuters found the blackened carcasses of what military experts have since identified as two Russian army tanks, supporting statements by Kiev and the West that the rebels were backed by troops and equipment sent by Moscow. Moscow denies the accusations though the rebels had been on the brink of defeat until late August, when the Ukrainian government says they received an injection of soldiers and weapons from Russia. Picture taken October 1, 2014. To match Exclusive UKRAINE-CRISIS/TANKS . REUTERS/Maria Tsvetkova (UKRAINE - Tags: CONFLICT CIVIL UNREST POLITICS MILITARY)
Hinzu kommen die neuerliche Eskalation des Krieges in der Ostukraine und Berichte über massive Verstärkungen für die Rebellen aus Russland. Panzer und Artillerie sollen über die Grenze gerollt sein. All das passt ins Bild eines immer wieder geäußerten, noch weiter gehenden Eskalationsszenarios, das weitere Gebiete in der Ukraine und auch die Republik Moldau umfasst. Dort finden Ende November mit Spannung erwartete Parlamentswahlen statt. Und im Windschatten der Ukraine-Krise verschärft sich auch der Ton in der Kaukasus-Republik Georgien.

"Wir brauchen dringend ein neues Abkommen über militärisches Krisenmanagement mit Moskau", resümiert einer der Autoren der ELN-Studie die jüngsten Spannungen: "Nur so können wir eine unbeabsichtigte Eskalation vermeiden."

Es war ein symbolträchtiges Gastgeschenk, das Kremlchef Wladimir Putin Sonntag in Peking aus der Hosentasche zog und Chinas Präsidenten Xi Jinping überreichte: das jPhone 2, ein in Russland entwickeltes Smartphone. Hergestellt werden soll es vor allem im Reich der Mitte.

Putin ist derzeit in Ostasien und in der Pazifikregion unterwegs. Zunächst in China, dessen Staatschef er in diesem Jahr bereits zum fünften Mal traf. Danach nahm er in Peking am zweitägigen Forum der APEC – der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft – teil, das heute, Dienstag, zu Ende geht. Am Wochenende reist er nach Australien zum G-20-Gipfel. Der Gruppe gehören die weltweit größten Volkswirtschaften an. Deren Stärkung lag Putin schon am Herzen, bevor die G-8-Gruppe – das Kartell der alten Industrienationen – wegen Moskaus Ukraine-Politik den Gipfel in Sotschi im Juni platzen ließ.

Die Sanktionen, mit denen der Westen Russland abstrafte, dürften den Kremlherrscher endgültig dazu bewogen haben, die Schwerpunkte von Außen- und Wirtschaftspolitik nach Osten zu verlagern. Allein aufgrund der geografischen Gegebenheiten stand Russland stets mit einem Bein in Asien. Dessen Politikmodell – der Gegenentwurf zu westlicher Demokratie – habe auch Moskau geprägt, glauben kritische Beobachter.

Neue Pipelines

Sowohl beim China-Besuch als auch beim APEC-Forum gestern warb Putin vor allem für eine vertiefte Zusammenarbeit im Energiebereich. Das macht durchaus Sinn: Die Öl- und Gasfelder, aus denen Europa von Russland beliefert wird, sind endlich, die neuen Vorkommen liegen vor allem in Ostsibirien. Von dort sind es bis zur EU-Außengrenze mehr als 7000 km, der Transport wäre nicht rentabel. Russlands neue Pipelines werden daher Richtung Osten verlegt. Allein über die 3000 km lange Gasleitung Sila Sibirii, die von der nordostrussischen Teilrepublik Jakutien nach China führt und derzeit das weltweit größte Investitionsprojekt ist – sollen ab 2019 jährlich 38 Milliarden Kubikmeter fließen.

Für Europas Widerstand gegen das South-Stream-Projekt hatte Gazprom-Chef Alexei Miller in Peking nur ein Achselzucken übrig. Angesichts der Verhandlungsfortschritte mit China und anderen Interessenten in Fernost sei South Stream eine Pipeline, die Südeuropa unter Umgehung der Ukraine mit russischem Gas versorgen soll, nicht mehr "prioritär".

Zwar kostet allein der russische Abschnitt der China-Pipeline 55 Milliarden Dollar. Das Geld will Moskau sich teilweise in Peking leihen. Seit der westliche Kapitalmarkt für russische Geldhäuser faktisch geschlossen ist, versorgen sich diese vor allem in China mit Darlehen. Das, schreibt die Rossijskaja Gaseta, das Amtsblatt der russischen Regierung, sei der "Beginn eines Durchbruchs, auf den wir alle gewartet hatten. Jetzt werden die Chinesen deutlich aktiver in die russische Wirtschaft investieren". Davon würden nicht nur der chinesische Yuan, sondern auch der Rubel, der derzeit auf rasender Talfahrt ist, international profitieren.

Schon seit dem Frühjahr bemüht sich die Führung in Peking, die Wirtschaft mit einer gelockerten Geld- und Budgetpolitik anzukurbeln. Trotzdem fiel das Wachstum im dritten Quartal 2014 mit 7,3 Prozent so schwach aus wie seit 2009 nicht mehr. Ein Indiz für die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums sind die Exporte, die im Oktober nur um 11,6 Prozent zulegten. Im Monat zuvor waren es noch mehr als 15 Prozent. Auch das Wachstum der Importe hat sich deutlich abgeschwächt, was Ökonomen als Signal für eine schleppende Inlandsnachfrage sehen.

Präsident Xi Jinping versucht zu kalmieren. Es gebe zwar tatsächlich Risiken, diese seien aber nicht beängstigend, sagte er vor Firmenchefs. "Selbst mit einem Wachstum von um die sieben Prozent würden wir noch zu den Besten gehören", hält er auch ein noch schwächeres Wachstum für verkraftbar.

Mit einem milliardenschweren Investitionsprogramm soll die Konjunktur wieder in Schwung gebracht werden. Die staatliche Reformkommission genehmigte 21 Projekte mit einem Gesamtvolumen von mehr als 90 Milliarden Euro. 16 Bahnhöfe und fünf Flughäfen sind geplant. Mit 32 Milliarden Euro soll der Aufbau eines regionalen Infrastrukturfonds mit dem Namen "Seidenstraße" gefördert werden. Damit soll der verkehrstechnische Flaschenhals in Asien beseitigt werden.

Signalwirkung hat eine Meldung der VTB Bank. Russlands zweitgrößte Bank, die auch in Wien mit einer Tochter vertreten ist, überlegt einen Börsenwechsel von London nach China. Hintergrund sind die Schwierigkeiten russischer Banken, im Westen an Kapital zu kommen. Russland griff der VTB bereits mit vier Milliarden Euro unter die Arme.

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