Putins Wahl-Show: Wer für seine Amts-Verlängerung ist, bekommt ein Auto
Beim Referendum über Putins Amtsverlängerung bis 2036 gibt es Wohnungen und Geld zu gewinnen. Doch das Ergebnis scheint im Vorfeld festzustehen – warum dann der Aufwand?
Ein russisches Kinderheim, auf einer Pritsche: ein kleiner Bub mit treuherzigen Augen. Ein Mann holt ihn ab, der Bub fragt strahlend: „Und wo ist meine neue Mama?“.
Das Video präsentiert daraufhin einen klischeehaft schwulen Mann, der dem Kleinen ein Kleid gibt. Der Bub schaut traurig, die Betreuerinnen schütteln den Kopf. „An welches Russland glaubst Du? Entscheide über die Zukunft! Sag Ja“, sagt eine Stimme im Off.
Wir sind in Russland im Jahr 2020, und Werbung wie diese läuft derzeit auf allen Kanälen. Bis kommenden Mittwoch ist die Bevölkerung aufgerufen, über eine weitreichende Verfassungsänderung abzustimmen: Es gehe um nicht weniger als um die russische Identität – um konservative Werte, die von außen bedrohte russische Sprache, um die siegreiche Vergangenheit der UdSSR und soziale Errungenschaften wie Pensionen und Arbeitslosengeld, wird suggeriert.
Was in all den Werbespots fehlt, ist allerdings die zentrale Frage des Referendums. Soll Wladimir Putin noch zwei weitere Amtszeiten weiterregieren – bis 2036?
Dass sie hinter 200 anderen Verfassungsänderungen versteckt wird, und dass über all die nur im Paket abgestimmt werden kann, hat Gründe. In einem Russland vor Corona wäre wohl die altbekannte Heldenerzählung Putins über die Bildschirme geflimmert. Das ist ein Bild, das nicht mehr funktioniert. Schon zu Jahresbeginn, als Putin ankündigte, die Verfassung umschreiben zu wollen, waren seine Umfragewerte im Sinken – die andauernden wirtschaftlichen Probleme machten sich bemerkbar. Mit dem Virus verdüsterte sich die Lage: Corona grassiert im Riesenreich nach wie vor – auch, weil Putin lange nichts getan hat.
Wenig Zustimmung
So steht der Kreml auch jetzt vor Zahlen, die er nicht gewohnt ist. Schon im März wollte die Hälfte der Russen einen Wechsel an der Macht, derzeit liegt die Zustimmung zu den Verfassungsplänen bei nur 44 Prozent. Das ist zu wenig: 55 Prozent müssten es zumindest sein, soll Putin als Order ausgegeben haben.
Um die zu erreichen, setzt der Kreml alle Hebel in Bewegung. In vielen Regionen wird die Abstimmung zur Show verklärt, in Krasnojarsk etwa werden Wohnungen und Autos unter den Wählern verlost, in Moskau gibt es Gutscheine im Wert von 130 Millionen Euro. Und auch die Pandemie ist hilfreich: Der Opposition waren jegliche Auftritte untersagt, um Menschenansammlungen zu vermeiden – und auch der Abstimmungszeitraum wurde mit diesem Argument auf eine Woche ausgedehnt.
Das erleichtert Manipulationen. Wo die Urnen in der Nacht gelagert werden, ist schwer nachzuvollziehen; und dass es wegen Corona zu Absurditäten wie Kofferraum-Wahlkabinen oder Wahlbüros auf Parkbänken kommt, nur damit im Freien gewählt wird, entspricht kaum den Vorschriften. Geschummelt werden kann zudem über die Online-Abstimmung, die pandemiebedingt geschaffen wurde: Schon am ersten Tag schaffte es ein Journalist, zweimal zu wählen – und wurde dafür verhaftet. Wahlbeobachter berichten von auffälligen Stimmen-Häufungen in gewissen Bezirken; dazu mehren sich Berichte über Beamte, deren Chefs positive Wahl-Nachweise verlangen. Andernfalls drohe die Kündigung.
Nachfolge-Debatte
Was bleibt, ist die Frage nach dem Warum. Denn der Aufwand wäre nicht nötig, die Verfassungsänderung ist von der Duma längst abgesegnet. Ein Grund mag sein, dass der angeschlagene Putin ein gutes – wenn auch manipuliertes – Ergebnis will, um die Öffentlichkeit und potenzielle Konkurrenten zu überzeugen, dass eine Mehrheit hinter ihm steht, analysiert Andrej Kolesnikow von Carnegie Moscow. Nur: Funktionieren wird das nicht. „Dieser seltsame Mix aus Betrug und Selbstbetrug wird die Beliebtheit der Regierung und des Präsidenten kaum stabilisieren.“
So wird die Abstimmung über Putins Zukunft wohl zu einer Debatte über die Zeit nach ihm führen. Das hat der Langzeitpräsident selbst erkannt: „Wir müssen arbeiten, keine Nachfolger suchen“, sagte er kürzlich etwas entnervt im Staats-TV.
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