Dass Orbán sich Putins Gepolter anhörte, war Teil der Inszenierung. Er war der erste westliche Regierungschef, der seit der Eskalation an der Grenze zur Ukraine in Moskau eingeladen war – weil er als „trojanisches Pferd Putins in Europa“ gilt, wie R. Daniel Kelemen, Politologe der Rutgers University in Philadelphia ihn nennt. Mit Ungarns Premier schaffe es Putin, „die europäische Sicherheitspolitik zu untergraben“.
Das gelang ihm am Dienstag erneut. Kritik kam von Orbán nicht – er sprach nur davon, dass er in Moskau auf „Friedensmission“ sei und betonte das „ungarische Modell“, wonach man auch als NATO-Mitglied dem Kreml freundschaftlich verbunden sein könnte. Auch gegen Sanktionen stellte sich Ungarns Premier vorsorglich: Diese würden nur versagen, sagte er – und lobte Russlands Wirtschaft, die „viel stärker“ sei, als der Westen denke.
Schon vor dem Besuch hatte Ungarn zum Unmut der anderen NATO-Mitglieder eindeutige Signale gesetzt, indem es eine Stationierung von NATO-Truppen im eigenen Land ablehnte. Putin belohnte das, indem er wiederholt darauf hinwies, wie günstig das Gas sei, das Ungarn per 15-Jahres-Vertrag mit Gazprom beziehe: Fünfmal billiger als das für den Rest Europas, das derzeit unter den hohen Gaspreisen stöhnt.
In Kiew suchte zeitgleich der britische Premier Boris Johnson mit dem ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj nach einer Lösung des Konflikts. Johnson hatte den Kreml im Vorfeld etwas verärgert, da er ein geplantes Telefonat mit Putin abgesagt hatte, weil just zum akkordierten Zeitpunkt der „Partygate“-Bericht erschienen war. Am Dienstag setzte er verbal nach: Er warnte Moskau vor einem Einmarsch, indem er „blutigen Widerstand“ ankündigte. Sanktionen würden automatisch in Gang gesetzt werden, sobald Russland mit einer Invasion beginne.
Wie und wann ein Angriff stattfinden könnte, darüber wird auf beiden Seiten spekuliert. In den kremltreuen Medien wird das Gerücht gestreut, dass die Ukraine die russischen Truppen demnächst angreifen könnten – dann hätte Moskau einen Grund für einen Gegenangriff. Auch Putin wiederholte dieses Szenario am Dienstag. Sollte die Ukraine der NATO beitreten und die Krim wieder zurückerobern wollen, hätte dies „Krieg zwischen uns und der NATO“ zur Folge, sagte er.
Experten vermuten seit Längerem, dass Moskau nach einem Vorwand sucht, um aktiv zu werden. Interessant ist der Zeitpunkt, der in Russland gestreut wird: Stattfinden soll die angebliche Attacke seitens der Ukraine nämlich während der Olympia-Eröffnung in Peking, der Putin beiwohnt. Das wäre dann wie im Jahr 2008 beim Georgien-Krieg, heißt es: Russland ließ den Konflikt dort auch eskalieren, während Putin bei der Olympia-Eröffnung war – in Peking.
Kommentare