„Was in der Ukraine passiert, ist ein Verbrechen“, sagt Marina Owsjannikowa in einem Video. „Russland ist der Aggressor. Und dafür verantwortlich ist nur ein Mann: Wladimir Putin.“
Bis Montagabend war die 44-Jährige eine unauffällige Redakteurin im staatlichen Ersten Kanal, lieferte für die Abendnachrichten Wremja – vergleichbar mit der Zeit im Bild – Übersetzungen ausländischer Politiker. Bis sie mit einem Schild vor die Kamera marschierte: „No War“ und „hier werdet ihr belogen“ stand darauf. Die Bilder davon, umgehend unterbrochen von einem Beitrag über Spitäler, verbreiteten sich wie in Lauffeuer in den sozialen Medien; ebenso wie eben jenes zuvor aufgenommene Video, in dem die Tochter einer Russin und eines Ukrainers Putin angreift. „Ich habe Kreml-Propaganda verbreitet – und schäme mich sehr dafür“, sagt sie darin.
Owsjannikowa ist eine Heldin, mit der niemand gerechnet hat. Im russischen Staats-TV sind die Sicherheitsvorkehrungen massiv, bei jeder Aufnahme – und vor allem bei Live-Nachrichten – sitzen Wachleute bei den Moderatoren. Wie Owsjannikowa ihr Schild an ihnen vorbeimogelte und fünf Sekunden in die Kamera halten konnte, ist unklar. Sie wurde danach jedenfalls umgehend verhaftet und war für etwa 15 Stunden für niemanden erreichbar war; auch für ihre zwei Anwälte nicht, die sie beim Prozess vertraten, der am Dienstag begann. Zunächst wurde spekuliert, dass sie auf Basis jenes neuen Gesetzes verurteilt werden könnte, dass die Verwendung des Wortes „Krieg“ mit bis zu 15 Jahren Haft ahndet; auch eine öffentliche Entschuldigung an Putin stand zur Debatte. Schlussendlich kam die 44-Jährige zunächst mit einer Geldstrafe für das Video davon, wie das unabhängige Portal Meduza berichtete: Sie muss 30.000 Rubel – umgerechnet etwa 250 Euro – zahlen.
Mutige Scham: Russische Journalistin protestiert live gegen den Krieg -Video
Das Urteil lässt freilich Raum für Spekulationen. Beobachter mutmaßten, dass der Kreml wohl keine Märtyrerin à la Nawalny schaffen wolle, der populäre ukrainische Blogger Andrij Bidnjakow hingegen meinte, der Auftritt sei gestellt gewesen – der Kreml wolle zeigen, dass auch andere Meinungen zulässig seien. Putin-Sprecher Peskow nannte den Auftritt erwartbar „Hooliganismus“; Margarita Simonjan, die berüchtigte Chefredakteurin des Kreml-Propagandaorgans RT, übte sich in Rufmord: Owsjannikowa sei die „allmächtige Geliebte“ eines TV-Direktors gewesen und habe versucht, ihr die Karriere zu verpfuschen. Unterstützung bekam Owsjannikowa aus Frankreich - Präsident Macron bot ihr Asyl an - und von allen Oppositionellen Russlands. Das Team Nawalny etwa kündigte an, die Gerichtskosten zu tragen.
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