Putins Pseudo-Wahl: Mehr als 87 Prozent sollen für ihn gestimmt haben

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Putin machte sich zum fünften Mal zum Präsident – mit einem vorab bestimmten Ergebnis. Widerstand konnte er nicht verhindern: Tausende standen mittags vor den Wahllokalen, um zu protestieren.

In Berlin applaudierten sie, manche weinten sogar, als sie kam. Um punkt 12 Uhr mittags stellte sich Julija Nawalnaja in die Schlange vor der russischen Botschaft im Bezirk Mitte, ein Gebäude, das auch an normalen Tagen einem Hochsicherheitstrakt gleicht. Tausende taten es ihr gleich: Sie kamen im Ausland wie in Russland selbst zur Aktion „Mittags gegen Putin“ – Nawalny hatte dazu noch kurz vor seinem Tod aufgerufen.

Es war ein überraschend deutliches Zeichen des Widerstands in einer Zeit, die eigentlich kaum Widerstand zulässt. Die Präsidentschaftswahl, die fünfte des Kremlherrschers, war überwacht wie nie zuvor, aus allen Regionen gab es Bilder von Soldaten, die Wähler selbst in den Kabinen beobachteten. Dennoch widersetzten sich nicht wenige: Im Netz kursierten Wahlzettel, auf „Alexej Nawalny, unser Präsident“ stand, auch auf seinem Grab  in Moskau waren diese Botschaften zu finden. Seine Witwe Julija machte es ebenso: Sie schrieb ihren verstorbenen Mann auf den Zettel.

Russland-Wahl

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Werte so hoch wie nie

Am Ergebnis verändert hat dieser Widerstand letztlich nichts – das stand ohnehin schon vorab fest. Mehr als 87 Prozent der Russen sollen Putin gewählt haben, so viele wie noch nie, hieß es dann am Abend von der Wahlbehörde. Schon vor dem Urnengang hatte es geheißen, der Kreml wünsche sich diesmal mehr als 80 Prozent, auch die Wahlbeteiligung sollte höher ausfallen als je zuvor. Geworden sind es knapp 75 Prozent, auch das ein Rekordwert –  höher war die Beteiligung nur bei der ersten freien Präsidentschaftswahl 1991.

Als Beleg für die große Zustimmung führten die Behörden übrigens genau die Bilder der Protestierenden an: Die langen Schlangen vor den Wahllokalen wurden von den Staatsmedien einfach zum Zeichen der Sympathie für Putin umgedeutet. Dass die Schlangen im Ausland sogar noch länger waren, diente als Beweis für dessen überbordende Beliebtheit im „dekadenten Westen“.

Dieses Narrativ ist so durchsichtig wie entlarvend: In russischer Erzählart ist völlig klar, dass man sich nur für einen der Kandidaten anstellen will – für Putin. Dass die drei anderen Kandidaten auf dem Wahlzettel ohnehin keine echten Oppositionellen waren, sondern allesamt nur kremltreue Systemdiener sind, passt da gut dazu.

Zwangswahl in der Ukraine

Auch in den besetzten Gebieten der Ukraine ließ Putin sich wählen, zur Quasi-Legitimation seines Krieges. Den hatte er ja mit den Worten begonnen, dass die Menschen in der Ostukraine befreit werden müssten, ihn als „echten“ und „historisch richtigen“ Herrscher ansehen würden. Dementsprechend hoch fiel die Pseudozustimmung aus: Auf der Krim sollen Putin mehr als 90 Prozen gewählt haben.

Im Staats-TV wurde der Wahlgang dort großflächig gezeigt, die Menschen gaben freudig ihre Stimmen ab. Bilder von den Wahlkommissionen, die Ukrainer zu Hause besuchten und teils mit Waffen zur Stimmabgabe drängten, gab es nicht zu sehen – Berichte darüber las man nur in verbotenen Oppositionsmedien.

Der Zugang zu diesen wurde vor der Wahl bewusst eingeschränkt. VPN-Netzwerke, mit denen die Russen bis vor Kurzem anonym ausländische Medien und auch kremlkritische russische Seiten ansteuern konnten, wurden teils lahmgelegt, auch Whatsapp wurde limitiert. „Zensur wie in der Sowjetunion“, nannte das der Chef eines großen VPN-Anbieters. Auch ausländische Wahlbeobachter wurden im Staats-TV bewusst inszeniert. „Alles in Ordnung“, hieß es etwa von einer Delegation aus Tansania, die in die Kameras lächelte. Nur: Dass die Beobachter nicht von der OSZE stammten, sondern fast ausschließlich aus autokratischen Staaten oder von Parteien, die den Krieg Russlands offen verteidigen, wurde nicht erwähnt. Der Anschein der Demokratie sollte schließlich gewahrt bleiben.

Bis 17 Uhr dauerte die dreitägige Wahl, bei der man erstmals auch elektronisch abstimmen durfte – Putin selbst gab seine Stimme diesmal werbewirksam per Knopfdruck ab. Die Möglichkeiten zur Manipulation waren dementsprechend enorm: Eine „Blackbox“ nannte Andrej Buzin, Mitbegründer der mittlerweile von den Behörden verfolgten Wahlbeobachtungs-NGO Golos, das neue Wahlsystem.

„Nicht kontrollierbar“

Der Urnengang heuer unterscheide sich massiv von jenem vor fünf Jahren, sagt er – nicht nur, weil diesmal im Unterschied zu damals kein einziger Oppositionskandidat auf der Liste stehe. 2018 war mit Xenia Sobtschak jemand gegen Putin angetreten, der zwar bei Weitem nicht das Gewicht von Alexej Nawalny hatte, aber zumindest einen gewissen Protest kanalisieren konnte. Dazu komme aber, so Buzin, dass das elektronische Wahlsystem alles verändert habe: Es sei „völlig undurchsichtig und für die Öffentlichkeit nicht kontrollierbar“.

Dazu kommt, dass Wahlfälschungen generell nicht mehr geahndet würden – wenn sie denn überhaupt entdeckt werden: In vielen Regionen hat die kremlfreundliche Systemopposition ihre Vertreter bereits vor der Auszählung freiwillig aus den Wahllokalen abgezogen – und wer von außen beobachten wollte, wurde verhaftet.

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