Nur: Wozu lässt sich Putin eine neue Privatarmee rekrutieren, wenn es bereits die Wagner-Truppen gibt?
Die Antwort darauf hat sowohl mit dem Krieg gegen die Ukraine als auch mit innerrussischen Machtkämpfen zu tun. „Ein Grund für die Gazprom-Söldner ist der Nachschubmangel an der Front“, sagt Osteuropa-Experte Sergej Sumlenny, Chef des European Resilience Center in Berlin. Sowohl die russische Armee als auch die Wagner-Söldner Jewgenij Prigoschins, ebenso einer der aktivsten Handlanger Putins, haben Rekrutierungsprobleme. „Die Quellen sind erschöpft, in den Gefängnissen gibt es Probleme mit dem Nachschub. Viele haben einfach Angst.“ Um die Menschen an die Front zu bekommen, wirbt die Gazprom deshalb auch mit Monatsgehältern von bis zu 7.500 Euro – für Russland unheimlich viel Geld: Prigoschin zahlt seinen Söldnern 2.500 Euro, der normale Soldatensold beträgt 700 Euro – in etwa so viel wie das russische Durchschnittseinkommen.
Dazu kommt aber ein anderer, wohl wichtigerer Aspekt. Putins neue Privatarmee soll ihn und seine Eliten „für ein mögliches Chaos zu Hause absichern – für die Zeit nach einer militärischen Niederlage“, sagt Sumlenny. Das heißt: Sollte es irgendwann zu einem offenen Machtkampf um den Kreml oder gar zu einem Bürgerkrieg kommen, müsste Putin nicht nur auf die regulären Kräfte der Armee vertrauen. Und private Akteure wie eben Gazprom-Chef Miller hätten auch Trümpfe in der Hand, die sie für Putin einsetzen können – oder im Zweifelsfall sogar gegen ihn.
Die Angst davor, dass einer der Player rund um den Kremlchef zu mächtig werden könnte, hat zuletzt Wagner-Chef Prigoschin selbst genährt. Er inszeniert sich medial geschickt und reichweitenstark, gibt den Haudrauf an der Front. Wenig Wunder also, dass er jetzt auch öffentlich gegen die Konkurrenz aus dem Hause Gazprom austeilt: In einem Interview wetterte er über die Unzuverlässigkeit der „angeblichen Verstärkung“ von zu Hause. Die hätten „mit Wagner-Blut eroberte Stellungen“ in Bachmut aufgegeben und sei einfach feig geflohen.
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Diese Hahnenkämpfe untereinander sind freilich kein Zufall. Putin setzt schon lange auf den Aufbau paralleler Sicherheitsstrukturen, darunter auch paramilitärischer – und sie alle spielt er bei jeder Gelegenheit gegeneinander aus, um eine Allianz gegen ihn zu verhindern. Tschetschenenführer Ramzan Kadyrows Truppen gehören da ebenso dazu wie die Nationalgarde Rosgwardija, die für Putin stets Demonstranten niederknüppelte. Beide Einheiten hat er auch in die Ukraine geschickt.
Allein: Sie hängen durch die Bank am Tropf des Kreml, selbst wenn sie das verleugnen. Prigoschin mag seine Wagnertruppen als viel effektiver als die reguläre Armee stilisieren und öffentlich gegen das „ineffiziente Verteidigungsministerium“ hetzen, das Gros seines Geldes und seiner Ausrüstung bekommt aber nach wie vor von dort. „Gegen den Willen des Kreml kann in Russland niemand etwas machen“, sagt Sumlenny.
In seinen Augen könnte dieses Prinzip, von Putin mittlerweile perfektioniert, aber massiv ins Wanken geraten – und zwar, wenn er in der Ukraine eine militärische Niederlage einfährt. „Die Geister, die der Kreml rief, können sich auch irgendwann verselbstständigen.“
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