"Russland ohne Putin": Eskalation bei Massenprotesten

"Russland ohne Putin": Eskalation bei Massenprotesten
Trotz Repressionen gingen landesweit wieder Zehntausende auf die Straßen. Tausende wurden festgenommen.

Und wieder kamen viele der Demonstranten in ganz Russland am Sonntag mit Klobürsten in der Hand – ihr sarkastisches Symbol für die (ihrer Ansicht nach) Abgehobenheit von Kremlchef Wladimir Putin. Denn diesem sollen in einem sagenhaften Palast am Schwarzen Meer – eine Immobilie im Wert von mehr als einer Milliarde Euro – solche Toiletten-Utensilien um stolze 700 Euro das Stück zur Verfügung stehen. Das wird jedenfalls in einem mittlerweile mehr als 100 Millionen Mal angeklickten Video behauptet, das der inhaftierte Oppositionsführer Alexej Nawalny, 44, ins Netz gestellt hatte.

"Russland ohne Putin": Eskalation bei Massenprotesten

Die Demonstranten fordern die Freilassung von Oppositionsführer Nawalny

Für seine Freilassung, für mehr Demokratie und gegen Korruption gingen Zehntausende Menschen auf die Straßen: Von Wladiwostok im Osten bis St. Petersburg im Westen – in mehr als 100 Städten. Und die Sicherheitskräfte Putins, der scharf von sich weist, mit dem Palast etwas zu tun zu haben und seinen Ex-Judopartner, den Oligarchen Arkadi Rotenberg, als „Begünstigten“ auftreten ließ, verstanden keinen Spaß: Teils in schwerer Montur gingen sie gegen die Demonstranten vor, die lautstark skandierten: „Russland ohne Putin“ oder „Freiheit für politische Gefangene“. Laut Menschenrechtsaktivisten wurden bis zum Nachmittag mehr als 4.000 Personen festgenommen. Es gab auch zahlreiche Verletzte

Streit USA-Russland

Eine ungewöhnliche scharfe Reaktion darauf kam aus Washington. US-Außenminister Antony Blinken verurteilte die „harte“ Gangart der Sicherheitskräfte und forderte eine sofortige Freilassung der Demonstranten – was einen diplomatischen Streit mit Russland auslöste: Die „grobe Einmischung“ in interne Angelegenheiten wurde brüsk zurückgewiesen.

"Russland ohne Putin": Eskalation bei Massenprotesten

In Moskau hatten die Behörden durch U-Bahnschließungen und der Zwangssperre von Geschäften, Restaurants und Cafés bereits im Vorfeld versucht, den Zulauf an Protestierenden zu minimieren. Das Zentrum um den Kreml wurde hermetisch abgeriegelt, ganze Straßenzüge waren mit Gittern blockiert.

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Besonders scharf gesichert waren das Gebäude des Inlandsgeheimdienstes FSB und das Moskauer Untersuchungsgefängnis Nummer eins, das im Volksmund „Matrosenstille“ genannt wird und in dem Nawalny seit seiner Festnahme vor rund zwei Wochen nach der Rückkehr aus Deutschland inhaftiert ist.

"Russland ohne Putin": Eskalation bei Massenprotesten

Aus seiner Zelle heraus hatte er seine Landsleute zu den Protesten aufgerufen: „Niemand möchte in einem Land leben, in dem Willkür und Korruption herrschen. Wir haben die Mehrheit auf unserer Seite.“ Tatsächlich ist es das erste Mal, dass im gesamten Land Russen gegen Putin demonstrieren.

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Dessen Machtapparat reagiert darauf mit einer zweifachen Strategie: Einerseits soll der breiter werdenden Bewegung gleichsam der Kopf abgeschlagen werden, andererseits sollen die Kommunikationskanäle der Opposition blockiert werden.

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Auch Nawanlys Ehefrau Julia wurde erneut festgenommen

So wurde am Sonntag die 44-jährige Ehefrau Nawalnys, Julia Nawalnaja, erneut festgenommen – weil sie auf Instagram ein Foto von sich auf der Straße veröffentlicht und zudem gepostet hat, dass ihr Mann deswegen inhaftiert sei, weil er es gewagt habe, einen Mordanschlag mit dem Kampfstoff Nowitschok zu überleben (als Urheber wird ein russischer Geheimdienst vermutet). Bereits davor war Oleg Nawalny, der Bruder des Oppositionsführers, und eine seiner Mitarbeiterinnen zu zwei Monaten Hausarrest verurteilt worden. Selbst im Internet dürfen sie in dieser Zeit nicht aktiv werden. Zudem stehen Internet-Plattformen im Visier der Behörden, die Demo-Aufrufe veröffentlicht haben.

Kein „Prager Frühling“

Trotz der sich intensivierenden Proteste (bereits am Sonntag der Vorwoche waren Hunderttausende auf die Straßen gegangen) glaubt die Enkelin von Ex-Sowjetchef Nikita Chruschtschow, Nina Chruschtschowa (59), nicht, dass sich in nächster Zeit viel ändern werde in Russland. Einen „Prager Frühling“ werde es nicht geben, sagte sie der Kleinen Zeitung. Aber: „Zum ersten Mal seit 20 Jahren gibt es mit Nawalny einen Führer der Opposition.“

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