Kesseltreiben gegen die Zivilgesellschaft

Kesseltreiben gegen die Zivilgesellschaft
Büro-Durchsuchungen: Nichtregierungs-Organisationen in Bedrängnis - Berlin übt Kritik.

Der Lesesaal ist bis auf Weiteres geschlossen, die Mitarbeiter versuchen Ordnung in das Chaos zu bringen, das die Fahnder hinterlassen haben. Letzten Donnerstag begehrten sie Einlass bei der internationalen Abteilung der Menschenrechtsorganisation Memorial, um sich einen Überblick über Spenden von ausländischen Organisationen und Privatpersonen zu verschaffen. Freitag knöpften sie sich weitere Ressorts vor. Dabei, so Führungsmitglied Oleg Orlow gegenüber der regierungsnahen Moskauer Tageszeitung Iswestija, sei es nicht nur um Unterlagen der Buchhaltung gegangen, interessiert hätten sich die Ermittler auch für die Projektbeschreibungen von Seminaren und andere Veranstaltungen der letzten Jahre.

Montag bekam auch die Moskauer Niederlassung von Amnesty International (AI) Besuch zu gleichem Behuf. Durchsucht wurden inzwischen sogar die Büros der deutschen CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Zwar soll es sich um planmäßige Kontrollen handeln. Ihm gegenüber, so Orlow, hätten sich die Fahnder jedoch ausdrücklich auf Artikel 22 des Gesetzes zur Staatsanwaltschaft berufen. Dieser sanktioniert außerplanmäßige Kontrollen bei Anfangsverdacht auf gesetzwidrige Aktivitäten.

"Ausländische Agenten"

Gemeint waren offenbar Verstöße gegen die neue, rigide Lex zu nichtstaatlichen Organisationen, die die Duma zusammen mit anderen antidemokratischen Gesetzen verabschiedet hatte, gleich nachdem Wladimir Putin Anfang Mai 2012 für eine dritte Amtszeit in den Kreml zurückkehrte. Nichtstaatliche Organisationen werden seither, so sie mit ausländischen Fördergeldern arbeiten, als „ausländische Agenten“ geführt. Das Wort wird zwar im Russischen vor allem für Versicherungs- und Immobilienmakler verwendet: Für eigene Geheimdienstagenten ist „Aufklärer“ üblich, für fremde „Spion“. In der Praxis wird die russische Zivilgesellschaft jedoch mehr und mehr wie ein Spion behandelt. Auch beim jüngsten Rundumschlag vermutet Lew Ponomarjow, der Chef der Gesellschaft für Menschenrechte, Putin als Auftraggeber.

Teil der deutschen Partnerschaft mit Russland, mahnt sogar das mit Kreml-Kritik sonst zurückhaltende Auswärtige Amt, sei auch „die Erwartung von einer fairen Behandlung der Zivilgesellschaft“. Konzertierte Aktionen, die deren Handlungsfreiheit einschränken, seien „nicht akzeptabel.“

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