"Es ist nicht so, dass wir frieren. Wir erfrieren!“, sagt die dick eingemummte Frau in die Kamera. Minus 22 Grad Celsius tagsüber hatte es Anfang Jänner in Moskau, nachts noch mal vier Grad weniger. Heizung? Gab es in einigen Orten nahe der Hauptstadt schon seit Tagen keine. Dafür massenhaft Klagen über vereiste Stiegenhäuser, geplatzte Heizungsrohre – und untätige Beamte.
Das, was die Russen seit jeher „General Frost“ nennen, also die Eiseskälte, die dem Land schon gegen Napoleon und Hitler zum Sieg verholfen hat, bekommen viele Russen derzeit selbst zu spüren. In einigen Regionen, darunter in Vororten von Moskau, hielt die marode Infrastruktur den frostigen Temperaturen nicht stand. In den sozialen Medien mehrten sich die Videos von Menschen, die über maximal fünf, sechs Grad in ihren Wohnungen klagten, und darüber, dass all ihre Hilferufe unerhört blieben. „Wir erfrieren, Präsident Putin!“ , sagt eine Betroffene.
Im Kreml, wo man sonst lieber über die Erfolge des „Generals Winter“ in der Ukraine spricht – auch in diesem Winter wurden die massiven Infrastrukturbombardements fortgesetzt, durch die die Menschen dort frieren und erfrieren sollen –, ist man sich der Explosivität dieser Klagen durchaus bewusst. Putin, der sich sonst nur selten mit den Niederungen der Regionalpolitik beschäftigt, beschuldigte korrupte Unternehmer, die sich „in den Westen“ abgesetzt hätten, der Unfähigkeit, und die Gouverneure rief er zum Rapport.
Keine Regulierung
Viel helfen wird das auf die Schnelle nicht. Denn Russlands Heizungsnetz, das größte und älteste der Welt, ist seit Jahren unterfinanziert und komplett marode, viele Eisenrohre sind vom Rost zerfressen – sie stammen noch aus Sowjetzeiten. Aus dieser Ära rührt auch das Versprechen, jede Wohnung in Russland mit Wärme zu versorgen, denn an Rohstoffen dafür hat es Russland bekanntlich nie gemangelt. Dieser Überfluss führte zu der Absurdität, dass die Russen bei Außentemperaturen von minus 25 Grad drinnen gern nur im T-Shirt herumliefen und selbst dabei schwitzten – in den meisten Heizungsnetzen war eine Regulierung einfach nicht vorgesehen, zum Abkühlen öffnete man traditionell die Fenster. Ein Drittel der in Russland produzierten Energie ging so für die Heizungsnetze drauf.
Mittlerweile sind die Rohre aber derart desolat, dass sie – weil sie nicht isoliert sind – schlicht einfrieren. Und wer Ausfälle mit elektrischen Wärmestrahlern zu kompensieren will, legt oftmals das Stromnetz lahm: 40 Prozent der kommunalen Infrastruktur im ganzen Land sind nämlich dringend sanierungsbedürftig. Evelyn Peternel
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