Neuer Kulturkrieg: Putins Zorn trifft nun auch die Stars

Im Visier von Putins Zorn: Rapper GeeGun und Influencerin Iwlejewa bei der „Almost Naked“-Party in Moskau
Nach einer freizügigen Party wird die Elite gedemütigt, verhaftet, eingezogen. Der öffentliche Pranger ist Teil einer totalitären Strategie.

Die rote Linie war Nastja Iwlejewa wohl nicht bewusst. Als die russische Influencerin vor Weihnachten zur einer „Half Naked“-Party im Moskauer Club Mutabor lud, folgten ihrem Ruf einige der bekanntesten russischen Stars; allesamt mottogemäß kaum bekleidet. Iwlejewa, der auf Instagram 18 Millionen Menschen folgen, trug um ihren Po etwa eine Smaragdkette um 250.000 Dollar, der Rapper Vacio nur Turnschuhe und einen Socken auf dem Penis – der aber immerhin vom Luxuslabel Balenciaga.

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Vor ein paar Jahren hätte eine Feier wie diese kaum jemanden in Russland irritiert. In Zeiten des Krieges gilt das nicht mehr: Zunächst rückten ultranationalistische Blogger aus, um die Prominenten für ihre Dekadenz in Zeiten, in denen Russen an der Front sterben, zu geißeln. Später folgten die großen TV-Propagandisten: „Abschaum, Bestien, Vieh“, seien die Stars, wetterte Putins TV-Sprachrohr Wladimir Solowjew. Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow empfahl ihnen gar, sich freiwillig für den Fronteinsatz zu melden.

Öffentliche Reue

Was darauf folgte, erzählt viel darüber, wie sehr Putin sein Land seit der Invasion der Ukraine verändert hat – und wie düster die Zeiten wohl noch werden können. Zwar spotteten viele der Unterhaltungsgrößen zunächst noch über die Kritik, die auf sie einprasselte. Doch als die Staatsgewalt einschritt, kam die Kehrtwende: Nachdem Vacio, der Mann mit dem Socken am Penis, wegen der „Förderung nichttraditioneller sexueller Beziehungen“ verhaftet wurde und im Gefängnis Besuch von der Ukraine-Rekrutierungskommission bekam, folgte eine öffentliche Reueerklärung der anderen. „Man sagt, dass Russland verzeihen kann. Wenn das stimmt, dann würde ich Sie, das russische Volk, gerne um eine zweite Chance bitten“, sagte etwa Organisatorin Iwlejewa, brav gekleidet und mit Tränen in den Augen. Andere stellten sich für die Selbstanklage demonstrativ vor den Weihnachtsbaum.

Genutzt hat die Selbstgeißelung wenig. Iwlejewa wird nun von der Steuerfahndung verfolgt, die 1,3 Millionen Euro von ihr will, fast alle anderen Gäste verloren Werbeverträge und wurden aus dem TV-Programm gestrichen – darunter etwa Sänger Filip Kirkorow, dem Putin einst Orden verliehen hat. Und der Nachtclub Mutabor, einer der berühmtesten der Hauptstadt, muss für 90 Tage schließen - wegen Verstoßes gegen "hygienische und epidemiologische Auflagen".

Neuer Kulturkrieg: Putins Zorn trifft nun auch die Stars

Bild von der "Almost Naked"-Party in Moskau

Doppelmoral

Dass Putins Zorn nun nicht mehr nur die Zivilbevölkerung trifft, sondern auch die Elite, die dank ihres Opportunismus bisher ungeschoren blieb, gehört zu einer größeren Strategie. Bisher tolerierte der Kreml die Doppelmoral, die es den Schönen und Reichen erlaubte, weiter in Luxus zu schwelgen, während Putin sich Fragen nach steigenden Preisen und nach den Kosten des Krieges gefallen lassen musste. Um Kritik an ihm abperlen zu lassen, habe er sich nun Sündenböcke gesucht, sagen Beobachter: jene „Unmoralischen“, die ebenso dekadent und vor allem sexuell ausschweifend leben wie die „Feinde“ im Westen.

Das wiederum ist Teil eines Kulturkriegs, den der Kreml schon länger gegen alles führt, was „unchristlich“ und „unnatürlich“ sein könnte. Ins Visier nahm man dabei vor allem die LGBTQI-Community, die als „extremistisch“ verfolgt wird. Putin bietet seinen Bürgern damit eine Alternative zur westlichen Werteordnung, mehr noch: eine Weltsicht, die besser ist – weil sie „reiner“ und „natürlicher“ ist, wie er sagt. Dazu gehört auch, wie er zuletzt forderte, dass russische Frauen mehr Kinder bekommen sollten, am besten „acht oder mehr“. Dass an den Abtreibungsgesetzen, die vor einem Jahrhundert zu den liberalsten der Welt zählten, währenddessen gerüttelt wird, überrascht dabei kaum.

Putins eigenes Verhalten kann dabei allerdings schwerlich als vorbildhaft gelten. Er saß einst selbst in einem Petersburger Stripklub in der ersten Reihe, als in Tschetschenien Russen für ihr Land starben.

Das war im Dezember 1999, als Premier. Sechs Tage später wurde er Präsident.

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