Einfache Antwort darauf gibt es keine, genauso wenig wie belastbare Daten. Die Schätzungen zum Firmenexitus unterscheiden sich nämlich massiv: Während laut US-Eliteuni Yale etwa 1000 der 1600 westlichen Unternehmen aus Russland abgezogen sind, schätzt die Kyiv School of Economics den Anteil auf 50 Prozent. Die Universität St. Gallen hingegen hat gerade mal 8,5 Prozent Firmen in der G-7 und der EU gefunden, die Russland tatsächlich verlassen haben – in Deutschland und Österreich ohnehin nur etwa vier.
Der Unterschied erklärt sich dadurch, dass nicht alle Firmen komplett abgezogen sind – weil das höchst kompliziert und kostspielig ist. Wer seine Anteile verkaufen will, braucht etwa den Sanktus des russischen Finanzministers, was bis zu zwölf Monaten dauert. Strategisch wichtige Firmen aus dem Öl- und Banksektor benötigen sogar ein Ja von Putin höchstselbst, und das dauert erfahrungsgemäß noch länger.
Dazu kommt, dass ein Verkauf mit massiven Einbußen verbunden ist. „Viele Firmen mussten bis zu drei Viertel des Werts abschreiben“, sagt der Ökonom Vasily Astrov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Das ist durchaus gewollt: Eine Verordnung der Regierung sieht seit Kriegsbeginn vor, dass ausländische Firmen nur mit 50 Prozent Abschlag verkaufen dürfen, sagt Astrov. Wer sein Geschäft aussetzt oder aufgibt, wird mit Strafen wegen „absichtlicher Insolvenz“ bedroht – ein Verbrechen, das zur Verstaatlichung führt.
Das ist der Grund, warum Riesen wie Heineken oder BP noch immer in Russland sind, Shitstorms inklusive. Andere, wie Renault, haben sich Rückkehrklauseln in den Verkaufsverträgen gesichert, und auch Coca Cola, die US-Traditionsmarke schlechthin, verdient noch immer indirekt in Russland. Der Geschäftspartner des Getränkeriesen hat zwar den Verkauf des echten Getränks eingestellt, stattdessen aber die „gute Cola“ aufgelegt – ein Fünftel an der Firma hält aber nach wie vor der Mutterkonzern; Gewinne daraus werden karitativ verwendet.
Auch Ikeamöbel sind nach wie vor in russischen Geschäften zu finden, ebenso Samsunghandys und Swatch-Uhren – alles Firmen, die offiziell nicht mehr in Russland sind. Diese Firmen sind abgezogen, ihre Waren kommen aber über Drittländer, sagt Astrov: „Sehr viel läuft über die GUS-Staaten, die Türkei oder Serbien.“ Die Firmen argumentieren oft, dass sie gegen Verkäufe über diese Umwege – inklusive Zwischen- und Scheinfirmen – nichts machen könnten, „richtig unglücklich ist über Erträge aber kaum wer“, sagt Astrov.
Allen Hintertüren zum Trotz hätte der Rückzug der großen Westmarken die russischen Wirtschaft ordentlich durchgebeutelt , sagt Astrov. Vor allem westliche Technologie, die auch durch chinesische Importe nicht ersetzbar sei, fehle massiv – in der Autoindustrie, wo Ladas jetzt ohne ABS und Airbag gebaut würden, sei das schon bemerkbar. „In drei bis fünf Jahren wird es aber auch die Öl- und Flüssiggaswirtschaft spüren.“ Deripaska, sagt Astrov, habe darum recht: Das Geld gehe vielleicht nicht gleich nächstes Jahr aus, aber „über kurz oder lang wird es schwierig werden für Russland.“
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