Putins russisches Roulette: Lockerungen, obwohl die Rate steigt und steigt

Tote Ärzte, tote Pfleger: Eine ältere Frau vor einer Trauerwand in St.Petersburg
Jetzt hat es sogar Putins eigenen Sprecher erwischt: Dmitrij Peskow, das Gesicht des Kreml, wurde am Dienstag wegen Covid-19 ins Spital eingeliefert. Er ist bereits der fünfte kranke Kreml-Offizielle – dabei hatte sein Chef nur einen Tag zuvor Lockerungen der Maßnahmen verlautbart.
Das ist verwunderlich, denn Russland ist von Corona getroffen wie kaum ein anderes Land. Mittlerweile steht man mit mehr als 233.000 Fällen auf Platz zwei weltweit, und die Kurve flacht trotz mehr als 40 Tagen Lockdown nicht ab. Täglich kommen gut 10.000 Infizierte hinzu, und die echten Zahlen dürften viel höher sein: In Moskau starben im April 20 Prozent mehr Menschen als in den Jahren zuvor.
Das Geld geht aus
Warum schickt Putin die Russen trotzdem zurück zur Arbeit? Weil die ohnehin marode Wirtschaft einen weiteren Lockdown nicht verkraften würde – und dem Staat Geld fehlt. Der Nationale Wohlfahrtsfonds, die einst prall gefüllte Reserve, zahlt wegen der Krise täglich 300 Millionen Dollar aus. Das Geld darin reiche nur mehr zwei Jahre, so Finanzminister Siluanow. Im März sagte er noch, es reiche – trotz Krise – noch zehn Jahre.
Putin mache auf Trump, heißt es darum in Kommentaren: Er tausche Wirtschaftswachstum gegen die Gesundheit der Bürger, um seine fallenden Beliebtheitswerte zu steigern.

Putin bei einem Spitalsbesuch zu Beginn der Krise
Das mag stimmen, nur kann dieser Weg auch das Gegenteil bewirken – denn die Lage im Gesundheitssystem ist jetzt schon desaströs. Im ganzen Land kündigen Ärzte und Pfleger, da Schutzkleidung fehlt; die Todesrate im medizinischen Bereich steigt stark. Dass vom Kreml versprochene Corona-Boni für Ärzte nicht ausbezahlt wurden, in manchen Spitälern den Medizinern die Kosten für Coronatests an Patienten sogar vom Gehalt abgezogen wurden, sorgt für Wut. Mediziner, mehrheitlich übrigens Frauen, werden in Russland ohnehin sehr schlecht entlohnt.
Mysteriöse Fensterstürze von Ärzten, die dieses Missmanagement öffentlich angeprangert hatten, befeuern zudem Gerüchte. Eine Ärztin starb bei einem solchen Vorfall. Es steht der Verdacht im Raum, dass sie wegen ihrer Kritik getötet wurde.
"Gefährliche Ausrüstung"
Denkbar ist aber auch, dass die Mediziner den Druck nicht aushielten. Ärzte in St. Petersburg, wo kürzlich fünf Patienten wegen eines brennenden Beatmungsgeräts starben, sind jedenfalls ernüchtert: „Unsere Ausrüstung ist gefährlich für Patienten“, zitiert die Moscow Times einen Arzt. Auch in Moskau starb ein Patient wegen eines solchen Apparats – die Geräte aus russischem Eigenbau wurden zuvor noch medial bejubelt.
Geliefert hat man die Apparate auch an die USA, ebenso unter medialem Applaus. Ein schlechtes Investment für Putin: Sie mussten jetzt aus dem Verkehr gezogen werden.

Kommentare