Angefeindet
„Russians go home“: Solche und ähnliche Graffitis sieht man mittlerweile häufig in Tbilisis Innenstadt. Die Stimmung gegenüber Russen ist rau, sagt die Anthropologin Katya Chigaleichik, die die russische Migration nach Georgien erforscht: „Georgier unterscheiden oft nicht, ob jemand anti- oder pro-Putin ist. Alle Russen sind gleich. Das ist eine gängige Meinung.“
Ungefähr 70 Prozent aller Georgier lehnten den russischen Migrationsstrom ab, ergab eine Studie aus 2022 vom US-finanzierten Forschungszentrum National Democratic Institute. Dass die Neuankömmlinge die Wohnungspreise in Tbilisi um das Doppelte oder Dreifache in die Höhe schießen ließen, verschärfte die Spannungen.
Die rechte Regierung Georgiens argumentierte, dass die Neuankömmlinge die Wirtschaft stärken würden. Hinter den Kulissen gab man jedoch der öffentlichen Meinung nach. Heute ist es für Russen zunehmend schwierig eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. „Wenn man ein Kind hat, dass in eine georgische Schule geht, bekommt man noch eine Aufenthaltsgenehmigung, ansonsten hat man zu 99 Prozent keine Chance“, sagt Chigaleichik. "Es ist wie Lotto spielen ob man eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt", sagt der Russe Wadim, der ein kleines Café in Tbilisi eröffnet hat.
Stattdessen fahren Russen einmal jährlich über die Grenze, meist nach Armenien, und setzen damit ihre einjährige Aufenthaltsfrist zurück. Doch diese „Visa runs“ sind risikoreicher geworden: Immer wieder kommt es vor, dass Russen nicht mehr über die Grenze gelassen werden und im Ausland stranden.
Parallelwelt
Trotz der schlechten Stimmung und sogar vereinzelten Mordaufrufen gegen Russen in sozialen Medien sei offene Gewalt selten, sagt Chigaleichik, die selbst Russin ist: „Ein Freund von mir ist an der Bushaltestelle von seinem betrunkenen Nachbar angegriffen worden. Meistens ist es aber einfach ein kalter Blick im Bus oder Café. Man fühlt sich einfach nicht willkommen.“ Schikanen gehören zum Alltag. „Manche Orte sind für uns tabu. Wenn man sich in bestimmten Cafés hinsetzt, wird man gebeten zu gehen“, sagt Chigaleichik.
Auch deswegen bleiben Georgiens Russen unter sich. „Wir Expats leben isoliert. Für uns ist Gemeinschaft untereinander wichtig: Jeder besucht die Häuser der anderen“, sagt der 31-jährige Ivan. Er ist von der Einberufung geflohen und arbeitet in einem Kino, das ausschließlich russischsprachige Filme für Auswanderer zeigt. Ähnlich wie Ivans Kino gibt es mittlerweile ein ganzes Ökosystem an Bars, Restaurants und Veranstaltungsräumen. Von Russen, für Russen. „Über Chats kann man sich sogar einen russischen Arzt organisieren“, erzählt sie.
Exodus
Doch die russischen Bars sind weniger geworden. „Viele haben das Land verlassen, die Abwanderung ist spürbar“, sagt Ivan. Anfeindungen und Unsicherheit haben viele überzeugt, dass sie weiterziehen müssen. Erst letztes Jahr verließen 30.000 Russen Georgien, das ist ungefähr ein Viertel aller Auswanderer. „Jedes Monat gibt es in meinem Freundeskreis eine Abschiedsparty“, sagt Chigaleichik.
Ein beliebtes Ziel ist Armenien. „Die Armenier haben keine negativen Emotionen gegenüber Russen. Wenn man dort Russisch spricht, wird das mit Sowjet-Nostalgie verbunden“, sagt Chigaleichik. Etwas mehr als 100.000 Russen leben in Armenien, die meisten in der Hauptstadt Jerewan.
Aber auch immer mehr Russen verschlägt es näher in das Zentrum Europas. Deutschland bietet humanitäre Visa an. Gerade für Kriegsgegner ein attraktives Angebot: Die humanitären Visa versprechen mit finanzieller Unterstützung und Deutschkursen eine Perspektive. Doch auch Serbien wurde zum Ziel von über 30.000 russischen Auswanderern. „Viele Serben unterstützen Putin. Für viele Oppositionelle, die dorthin übersiedelt sind, ist das natürlich eine seltsame Situation“, sagt Chigaleichik. Serbien sei gerade dabei zum neuen Zentrum für Exil-Russen zu werden, schätzt sie: „Bald wird Serbien überlaufen sein.“
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