Wie die Russen das Hotel zerbombten, in dem wir uns sicher gefühlt hatten
Zweimal kamen die KURIER-Redakteure Jürg Christandl und Armin Arbeiter im Park Hotel unter – doch auch für Zivilisten aus der Stadt bot es Schutz. Ein Blick zurück.
Wieder erzittert der Boden. Der Knall einer Explosion dringt durch die Mauern. Ein Baby beginnt zu weinen, neben mir hat eine Mutter ihren zwei Jahre alten Sohn auf dem Schoß, umarmt ihn, beruhigt ihn mit einem „Schhh, Schh“. Die Situation passt nicht zum Raum: Braune Chesterfield-Sofas, Esstische, ein künstliches Kaminfeuer, das beruhigend prasselt, ein gewaltiger Billardtisch. Jetzt dient er als Ablage für Decken. Rund um den Tisch liegen Matratzen, auf denen ganze Familien sitzen und einander Mut zusprechen.
Vor wenigen Minuten bin ich mit Fotograf Jürg Christandl ins Park Hotel Charkiw zurückgekehrt, nachdem wir über ein Gefecht bei einer nahe gelegenen Schule berichtet haben.
Mit stoischer Ruhe
Die russischen Streitkräfte sind an diesem Tag, dem 28. Februar 2022, fast bis zum Zentrum Charkiws vorgedrungen, werden gerade von den ukrainischen Verteidigern zurückgeschlagen. Der Krieg tobt seit fünf Tagen. Niemand weiß, ob die Stadt dem russischen Angriff standhalten wird, überall sind die Vorräte knapp. Auch hier, im Park Hotel. Doch das Personal lässt sich das nicht anmerken.
Mit stoischer Ruhe verteilt Vladimir, einer der Hotelangestellten, Wasserflaschen, hat Süßigkeiten für die Kinder dabei. Die Wenigsten sind Gäste – der Großteil kommt aus der Nachbarschaft, sucht Schutz im Gesellschaftsraum im Keller des Hotels. Und findet ihn auch.
So dachte ich zumindest, bis ich Donnerstagfrüh das Video des russischen Raketenangriffs auf das Hotel sah. Während ich vergeblich versuchte, die Menschen zu erreichen, die Jürg und mich auf zwei Ukraine-Reisen beherbergt und verköstigt hatten, kam die Meldung, dass zumindest niemand gestorben sei.
Eine kurze Erleichterung. Und dennoch macht sich Bitterkeit breit, liest man auf russischen Kanälen, das Hotel habe "Nazis" und "Söldner" beherbergt.
Bei unserem letzten Besuch war es voll von Journalisten aus aller Welt – und auch jetzt zählt ein türkischer Journalist zu den Verletzten. Unvergessen, als am Nebentisch ein australischer und ein irischer Journalist einander in die Arme fielen. Beide hatten einander das letzte Mal vor 18 Jahren in Afghanistan gesehen.
Feuerwehrleute bekämpfen Brand in Charkiw Hotel, das von russischen Raketen getroffen wurde
Machtlosigkeit
Dass dieses Hotel nun in Trümmern liegt, ist eines von unzähligen russischen Kriegsverbrechen und zum Glück eines ohne Tote. Tagtäglich schlagen irgendwo in der Ukraine Drohnen oder Raketen in Wohnhäuser ein – mittlerweile Randnotizen in den Zeitungen. Einen Ort, der einem selbst das Gefühl von Sicherheit im Raketenhagel gab, in Trümmern zu sehen, vermittelt einem vielleicht ansatzweise, wie sich Hunderttausende fühlen müssen, wenn ihr Haus dem Erdboden gleichgemacht wurde.
Bereits am dritten Kriegstag meldete sich einer der Hotelangestellten freiwillig zur Armee – das Haus seiner Eltern war bombardiert worden. Auch Vladimir wurde vor einem Jahr eingezogen. Beide gaben bis heute auf Nachfrage kein Lebenszeichen von sich.
Die gute Nachricht: Der damals zwei Jahre alte Bub, der von seiner Mutter beruhigt werden musste, konnte zusammen mit seiner Familie unbeschadet ins Ausland fliehen.
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