Ruhestand – bitte warten

Wenn die private Pension zu gering ist, ist Arbeiten wieder angesagt
In Deutschland ist es fix: Das Rentenantrittsalter steigt auf 67.

Ich arbeite noch Vollzeit, weniger kann ich mir nicht leisten,“ sagt Sabine Hollek, 60, im Jugendamt von Spandau, einem West-Bezirk Berlins. Sie müsse noch bis 63 Dienst tun, und wäre sie nicht krank, gar bis 65. „Obwohl ich seit 45 Jahren arbeite, bekomme ich nur 1200 Euro Rente“, klagt Hollek. „Würde ich jetzt aufhören, wären es noch 10,8 Prozent weniger. Dabei wäre mir nicht fad.“

Hollek ist in der Hauptstadt eine Ausnahme: Auch bei der Beschäftigung Älterer liegt sie schlechter als der Bundesdurchschnitt. In der Wirtschaft sind „hier Arbeitnehmer über 60 fast unauffindbar“, gesteht ein Metallgewerkschafter.

Bundesweit hat seit den 1990er Jahren der Anteil Älterer hingegen stark zugenommen, ermittelte gerade das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Erstmals seit 40 Jahren arbeitet wieder gut die Hälfte der 60- bis 65-Jährigen. Damit ist weniger als die Hälfte dieser Altersgruppe im Ruhestand, konkret 48 Prozent. Das rechnete das BIB in Wiesbaden aus dem Mikrozensus 2012 hoch, der wegen der deutschen Datenschutz-Hysterie seit 30 Jahren volle Volkszählungen ersetzen muss.

Ruhestand – bitte warten
Sabine Hollek

Was grobe Unschärfen ergibt: Denn als „erwerbstätig“ gilt hier, wer ab einer Stunde pro Woche arbeitet, also auch eine halbe Million Empfänger von „Hartz IV“. Umgekehrt zählt das BIB alle Empfänger niederster Renten, die davon nie leben könnten, auch als Ruheständler. Der Trend zu längerem Arbeiten, so das BIB, sei aber „ gesichert“.

Den bestätigt auch die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg: Heute gäbe es um zehn Prozent mehr Arbeitnehmer – inklusive Beamten – über 60 als vor fünf Jahren.

Auch Dagmar Poetsch, 61, im Sozialamt von Marzahn-Hellersdorf „muss noch zwei Jahre arbeiten, um dann zumindest in die vorgezogene Rente zu gehen“. Deren Höhe sei „verträglich, aber die entgangene Lebensqualität bis dahin kann mir keiner ausgleichen“.

Spätere Frauenrente

Auch sie ist betroffen von den Reformen, die „schon unter CDU-Kanzler Helmut Kohl begannen“, sagt der Arbeitsmarkt-Spezialist des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln, Holger Schäfer. Damals wurden die Weichen für den späteren Renteneintritt vor allem für Frauen, gestellt: Die gehen statt einst mit 60 nun mit 65 regulär in den Ruhestand. Das ist auch neben deren prinzipiell höheren Erwerbsquote der größte Unterschied zu Österreich, wo das Antrittsalter für Frauen immer noch bei 60 liegt. Vor allem deshalb habe Österreich bei 55- bis 65-Jährigen die sehr niedrige Erwerbsquote von nur 44 Prozent, Deutschland hingegen die international hohe von 65 Prozent, so DIW-Mann Schäfer zum KURIER.

Ruhestand – bitte warten
Holger Schäfer

„Sehr wirksam waren auch die ,Hartz’-Reformen der Regierung Schröder“: Sie hätten vor allem den gleitenden Übergang von der früher leicht zu erlangenden Arbeitslosenhilfe in die Rente erschwert, „die heute viel genauer bedarfsgeprüft wird“. Auch sei die automatische Frühverrentung langer Krankenständler nun abgeschafft.

Weil dank guter Konjunktur eine Million Arbeitsplätze unbesetzt sind, steigen die finanziellen Anreize zum Weitermachen. Am meisten profitieren davon bisher technische Berufe und der Pflegebereich. Keine Veränderung gibt es bei Freiberuflern und Selbstständigen, die arbeiteten im Schnitt immer schon viel länger als Arbeitnehmer.

Die Tendenz zu mehr Altersarbeit halte an, so Schäfer unisono mit BIB-Studienautor Harun Fulak. Sie bringt eine größere Wertschöpfung der Wirtschaft, mehr Steuern und entlastet die Sozialkassen. Und ist damit eine der Reformen, die Kanzlerin Merkel den Euro-Südstaaten zur Bedingung für weitere deutsche Steuergeld-Hilfe zu machen versucht – bisher vergeblich.

Widerstand zwecklosAuch wenn die Gewerkschaften mehr Altersarbeit bekämpfen, ist ihr Widerstand zwecklos: Die SPD will in den Koalitionsverhandlungen mit der Union zwar die von Schröder eingeführte Flexibilisierung des Arbeitsmarkts beschränken. An der „Rente mit 67“ für alle, die SPD-Chef Müntefering als Sozialminister in der ersten Großen Koalition Merkels startete, rüttelt auch sie nicht: Die Demografie lässt keine andere Wahl.

Für manche aber kommt sogar die Rente mit 67 zu früh: Albrecht Hirsch, erfahrener Stadtplaner am Senatsbauamt Berlin, ist froh, „bis jetzt voll arbeiten können“. Er wurde gerade 67 und nutzt nun in Teilzeit „diese intelligente Herausforderung zum langsamen Herunterfahren. Nur mehr in zwei Bands zu spielen, reicht mir nicht.“

Ruhestand – bitte warten

Arbeitslos und über 60? „Für diese Person einen adäquaten Vollzeit-Job zu finden, gleicht einem Lottosechser“, sagt ein AMS-Berater. Der österreichische Arbeitsmarkt sei auf diese Altersgruppe einfach nicht eingestellt. Die Erkenntnis, dass mit der Pensionierung viel Potenzial für die Wirtschaft verloren geht, zugleich aber immer weniger Junge nachkommen, sei in den Betrieben noch wenig ausgeprägt.

Nicht so bei der Welser Firma Austria Plastics. Peter Weidinger ist 74 und arbeitet dort regelmäßig als Aushilfskraft. Nicht, weil er es nötig hätte, sondern weil er „irgendwie dazugehören“ will. Ein bis zwei Mal im Monat für rund 200 Euro hilft der gelernte Maschinenbauer in der Kalender-Endfertigung aus. Eine Kollegin ist sogar über 80 und ebenfalls mit Begeisterung bei der Arbeit. „Auch mit 80 bis 90 Jahre gibt es noch rüstige Leute, ich nehme sie alle“, sagt Firmenchefin Renate Pyrker.

Ihre Idee, ältere Menschen flexibel und mit KV-gerechter Entlohnung als freie Mitarbeiter oder geringfügig Beschäftigte in den Arbeitsprozess einzubinden, sieht sie als soziales Engagement. Ihre inzwischen österreichweit bekannte „Jobinitiative 70plus“ fand auch bereits Mitstreiter – und sucht noch weitere. „Es sind noch viel zu wenige Firmen, die das Potenzial der Älteren erkennen“, klagt Pyrker, „viel öfter muss ich mir den Vorwurf anhören, Jüngeren die Jobs vorzuenthalten, aber das stimmt nicht“. Austria Plastics beschäftigt 30 Mitarbeiter unterschiedlichen Alters, darunter auch Lehrlinge.

Initiativen wie diese sind (noch) die Ausnahme. Das stellt auch Rudolf Unden, Betreiber von pensionistenjobs.at fest. Seine Job-Plattform vermittelt alle Arten von Beschäftigung – ob Vollzeit, Teilzeit oder Nebenjob. Die Resonanz der Firmen bezeichnet er als „eher bescheiden“, die 400 bis 500 Zugriffe pro Monat seien deutlich ausbaufähig. Aktuell gesucht werden Staubsaugervertreter und Vermögensberater.

Jugendwahn

Demografisch bedingt steigt die Zahl der über 60-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt stetig. Laut Statistik Austria sind 16 Prozent voll erwerbstätig (siehe Grafik). Rechnet man geringfügig Beschäftigte und mithelfende Angehörige hinzu, erhöht sich die Erwerbsquote auf 21 Prozent, liegt damit aber immer noch weit hinter dem EU-Schnitt von 35 Prozent. Mit der Beschäftigung steigt auch die Arbeitslosigkeit. „Es wären viele ältere Fachkräfte verfügbar, aber die Industrie will unbedingt junge haben“, beklagt Walter Hanus, Chef des Engineering-Unternehmens IVM den Jugendwahn am Arbeitsmarkt.

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