Die EU plant keinen Angriffskrieg, sondern setzt auf Verteidigung

Die EU plant keinen Angriffskrieg, sondern setzt auf Verteidigung
Während Moskaus Propaganda Vergleiche mit Nazideutschland zieht, die auch in Österreich auf fruchtbaren Boden fallen, stellt sich die europäische „Aufrüstung“ deutlich anders dar.

Der deutsche Kanzler in spe, Friedrich Merz, sei noch nicht im Amt „und lügt schon wie Goebbels“, sagte der frühere Kremlchef Dmitri Medwedew am Donnerstag mit Blick auf den Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels.

Der russische Ex-Präsident weiß, wie er rhetorisch zuschlagen muss: Viele Wähler der deutschen Union fühlen sich von Merz aufgrund des Billion-schweren Schuldenpakets für Bundeswehr und Infrastruktur (siehe unten) verraten, andere fürchten, dass „Europa“ in den Krieg gegen Russland ziehen wolle und deshalb „aufrüste“. So konnte Medwedew zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Längst ziehen auch österreichische Kommentatoren im Privatfernsehen Nazi-Vergleiche, wenn sie über die Wiederbewaffnungspläne der Europäischen Union sprechen.

Vergessen scheint, dass die Streitkräfte europäischer Staaten über Jahrzehnte zusammengespart wurden – und es vor allem darum geht, verteidigungsfähig zu werden. Nachdem Washington bereits seit Barack Obama darauf drängt, Europa solle sich stärker auf die eigene Verteidigung konzentrieren – und diese Forderungen weitgehend ignoriert wurden, scheinen die meisten EU-Staaten drei Jahre nach Kriegsbeginn in der Ukraine handeln zu wollen. Vor allem vor der Möglichkeit eines Wegfalls der US-Unterstützung im Ernstfall.

Kein Panzerkorps

Dieser Ernstfall wird eher nicht ein russisches Panzerkorps sein, dessen Ziel es ist, bis nach Lissabon vorzustoßen. Dies ist selbst in der Fantasie eines Medwedew illusorisch. Es geht darum, eine glaubwürdige Abschreckung zu schaffen, damit es nicht so weit kommt, dass „grüne Männlein“ Sabotageakte in den baltischen Staaten durchführen oder eine „Militärische Spezialoperation zur Rettung der russischen Minderheit in Litauen“ vorbereitet und durchgeführt wird. 

Ähnlich führte der Kreml dies 2014 in der Krim durch – mit Erfolg. Und nicht nur einmal hat Putin klar gemacht, dass er die baltischen Staaten und Teile Moldaus im „angestammten“ russischen Einflussbereich sieht.

Drohnenabwehr

Putin geht so weit, wie man ihn lässt, testet Grenzen aus. Diese gilt es aus europäischer Sicht zu schützen. Mitnichten durch den Kauf von Offensivwaffen, sondern der Beschaffung defensiver Systeme. Deutschland etwa steht im Bereich der Flugabwehr auf kürzeste Distanz mehr oder weniger blank da.

Unter diesen Bereich fällt auch die Drohnenabwehr – die seit dem Krieg in der Ukraine ein absolutes Muss ist, will ein Staat die Sicherheit seiner Bürger garantieren.

Rüstungskonzerne

Und daher wird das massive Paket, das Brüssel schnürt, wohl vor allem in die gemeinsame Beschaffung von Munition fließen. Im Ernstfall hätte etwa Deutschland nach zwei Tagen keine Munition mehr. Gleichzeitig muss die EU Voraussetzungen dafür schaffen, dass Rüstungskonzerne ihre Preise nicht in himmlische Höhen anheben können. Der Grund, warum Russland im Vergleich zu westlichen Staaten weniger Geld für Rüstungsgüter ausgibt, liegt darin, dass die großen russischen Rüstungskonzerne de facto in staatlicher Hand sind.

Ein weiterer Punkt ist die Luftverteidigung: Mit Sky Shield wurde bereits eine Initiative ins Leben gerufen, bei der es sich dezidiert um eine defensive Maßnahme handelt. Auch hier sollen im Rahmen einer gemeinsamen Beschaffung Systeme günstiger erworben werden können, als das für Einzelstaaten möglich wäre.

Illusion EU-Armee

Auch eine gemeinsame EU-Armee ist nach wie vor in weiter Ferne – und das wird voraussichtlich so bleiben. Jedes Land hat seine eigenen Systeme, Strukturen – und strategischen Ausrichtungen. Spanien blickt etwa mehr nach Süden, während Estland gen Osten blickt.

Ein realistisches Ziel dürfte es sein, bei gemeinsamen Übungen die Systeme langsam aber sicher anzugleichen – oder im Rahmen der Eingreiftruppe „Rapid Deployment Capacity“ mehr voneinander zu lernen. In diesem brigadestarken Verband (der theoretisch in einem 6.000-km-Radius um Brüssel eingesetzt werden könnte), stellt Österreich derzeit Soldaten im Bereich der Logistik.

Europas Bestrebungen, konventionell verteidigungsfähig zu werden, stecken also noch in den Kinderschuhen. Sollte in den kommenden Jahren der Plan aufgehen, mehr in die Verteidigung zu investieren und das strukturiert und gemeinsam zu tun, dürfte frühestens 2030 von einer plausiblen, konventionellen Verteidigung die Rede sein.

Hybrider Krieg

Neben der militärischen Verteidigungsfähigkeit geht es auch um jene in der hybriden Kriegsführung. Und das ist ein Gebiet, in dem Russland seit jeher stark ist. Etwa 80 Prozent des KGB-Budgets flossen im Kalten Krieg in den Bereich der Desinformation. Und daran dürfte sich nicht viel geändert haben.

Der Wehrwille in westeuropäischen Staaten ist gering, das Vertrauen in die Politik stark gesunken (wohl nicht nur aufgrund russischer Desinformation). Dies ist – ob Zufall oder nicht – ein Ziel der hybriden Kriegsführung. Diese kennt grob vier Phasen: Voraussetzungen für Einfluss schaffen, dann diesen ausüben, später Destabilisierung der Gesellschaft und schließlich das Niederringen des Gegners.

Weitere Mittel zur Destabilisierung sind Cyberangriffe, Brandanschläge auf kritische Infrastruktur, das Kappen von Unterseekabeln oder Spionage in ausländischen Kasernen. All das geschieht seit Jahren in europäischen Staaten – und trägt russische Handschrift.

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