Rot-Blau: "Urabstimmung nicht ernst zu nehmen"

Universitätsprofessor Anton Pelinka.
Politologe Anton Pelinka lehnt die SPÖ-Strategie im Umgang mit der FPÖ ab.

Der bekannte Analytiker des politischer Systeme und Professor an der Central European University in Budapest, Anton Pelinka, rechnet, dass in der SPÖ "die so genannte Vranitzky-Doktrin fallen wird". Mit Hilfe eines Kriterienkataloges will die SPÖ die Abgrenzung gegenüber der FPÖ aufgeben.

KURIER: Herr Professor, die SPÖ will Prinzipien für eine etwaige Koalition mit der FPÖ festlegen. Die bisher genannten Kriterien sind sehr allgemein: Demokratie, Menschenrechte, Europa. Diese Werte sind abgedeckt durch Verfassung und EU-Grundrechtecharta. Wie sinnvoll ist so eine Liste?

Anton Pelinka: Der Kriterienkatalog ist ein Vorwand, um das parteioffiziell verordnete Abgrenzungsgebot gegenüber den Freiheitlichen ohne Gesichtsverlust aufzugeben. Dieses Abgrenzungsgebot ist im Fall Burgenland ignoriert worden. Am Schluss wird stehen, dass eine sich zur EU-Mitgliedschaft und zu den europäischen Grundwerten bekennende Partei (sprich: FPÖ) grundsätzlich als Koalitionspartner für die SPÖ in Frage kommt. Also: Ich rechne damit, dass die so genannte Vranitzky-Doktrin offiziell fallen wird. Das läuft de facto auf eine Aufgabe des Parteitagbeschlusses von 2004 hinaus. Ob dieser auch formell aufgehoben wird, ist wohl noch offen.

Wie bewerten Sie die SPÖ-Ankündigung, die Mitglieder in einer Urabstimmung über jedweden Koalitionspakt abstimmen zu lassen?

Das Instrument der Urabstimmung bzw. der Mitgliederabstimmung ist nicht wirklich ernst zu nehmen, die schwindende Zahl der SPÖ-Mitglieder ist mit den SPÖ-Wählern und Wählerinnen überhaupt nicht deckungsgleich, aber es sind die potenziell SPÖ-Wählenden, auf die es ankommt. Mitgliederbefragungen sind eine Fassade, wie Niessls SPÖ-Burgenland-Befragung, oder Ausdruck einer innerparteilichen Pattsituation. Ich halte substanziell wenig davon. Für eine Partei sind ’Grenzwählerinnen und Grenzwähler’ immer wichtiger als Mitglieder.

Macht die SPÖ mit einer Koalitionsfestlegung vor einer Wahl einen strategischen Fehler?

Es hängt von der konkreten Situation ab, ob Koalitionsfestlegungen vor der Wahl einer Partei nützen oder schaden. 1986 und in den Jahren danach hat die Festlegung ’auf keinen Fall mit der FPÖ’ der SPÖ offenbar genützt, sich als verlässliche Anti-Haider-Partei die Pole-Position zu sichern.

Europas Sozialdemokraten befinden sich nicht gerade in einem Hoch. Warum erobern sie nicht den Mainstream?

Die Sozialdemokraten sind gelähmt, weil sie die Modernisierungsverlierer, zum Beispiel die Front National- und die FPÖ-geneigten blue-collar-workers ebenso ansprechen wollen – oder müssen– wie die grün-geneigten Bobos. Letztere sind zwar gegenüber ersteren in der Minderzahl, sie sind aber, anders als erstere, im Wachsen. Die Sozialdemokratie will es beiden recht machen – und am Ende macht sie es niemandem recht.

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