Roma: Angst vor der importierten Armut

Roma families, referred to as "Gens du Voyage", stand in the street after being evacuated from an illegal squat by French police in Lyon, southeastern France, September 21, 2012. France and Romania signed a two-year deal on the voluntary repatriation of Roma people to Romania part of efforts by Paris to send home hundreds of illegal immigrants living in squalid conditions near French cities. REUTERS/Robert Pratta (FRANCE - Tags: POLITICS SOCIETY IMMIGRATION)
Wien und Berlin heizen Debatte über Roma-Migranten als Sozialschmarotzer an.

Ein Brief sorgt in Brüssel für Wirbel. In einem Schreiben an die EU-Kommission und die irische EU-Präsidentschaft verlangen die Innenminister von Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden und Österreich ein schärferes Vorgehen der EU-Kommission gegen sogenannte Armutseinwanderung. Die vier Innenminister, darunter auch Österreichs Johanna Mikl-Leitner klagen, dass Arbeitslose aus Rumänien und Bulgarien die EU-Reisefreiheit nützten, um in reichen EU-Staaten an Sozialleistungen heranzukommen. Oft handle es sich um Roma.

Mit diesem Sozialtourismus soll Schluss sein. Die Freizügigkeit, ein Pfeiler des Binnenmarktes und von der Wirtschaft sehr geschätzt, soll für Sozialschmarotzer nicht gelten. Die Minister weisen im Brief darauf hin, dass Personen, die sich des Betrugs schuldig gemacht haben, zwar ausgewiesen werden können, aber am nächsten Tag auch wieder einreisen können. Dieser Drehtür-Mechanismus müsse gestoppt werden – durch schärfere Sanktionen bei Missbrauch sozialer Leistungen.

Wahlkampf

Die Innenminister – Deutschlands, Hans-Peter Friedrich, und Österreichs, Johanna Mikl-Leitner, befinden sich im Wahlkampf – verlangen neue nationale europäische Bestimmungen für Neuankömmlinge, die nie in einem EU-Land gearbeitet und Steuern gezahlt haben. Dass diese Menschen denselben Zugang zu Sozialleistungen haben wie Einheimische, gehe nicht an. Das sei ein „Verstoß gegen den gesunden Menschenverstand“ und müsse überprüft werden, argumentieren die Briefeschreiber.

Als Motor hinter der jüngsten Initiative gilt Deutschland. Auslöser der dortigen Debatte war ein Bericht des Städtebunds, der auf die katastrophale Lage vieler Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien aufmerksam machte. In Industriestädten wie Mannheim, Frankfurt oder Duisburg würden Tausende Zuwanderer zusammengepfercht in völlig überfüllten Quartieren leben. Viele von ihnen würden obendrein Sozialhilfe beziehen und so das deutsche Budget massiv belasten.

Tatsächlich haben Rumänen und Bulgaren als EU-Bürger Niederlassungsfreiheit in Deutschland. Mit der polizeilichen Anmeldung haben sie Anspruch auf Kindergeld. Dazu kommt, dass viele als selbstständige Hilfskräfte, etwa im Baugewerbe, angemeldet sind. Werden sie arbeitslos, steht ihnen die Sozialhilfe nach Hartz-IV-Schema zu. Diese Menschen – es sind großteils Roma – kämen aus einer Armut, gegen die Hartz IV im Vergleich relativen Wohlstand bedeute, betonen Sozialarbeiter, die ausländische Arbeitslose betreuen.

Keine Sozialleistungen

Ähnlich aufgeheizt ist die öffentliche Debatte in Großbritannien. Geschürt von der konservativen Regierung, die Pläne veröffentlichte, in Rumänien und Bulgarien Zeitungsinserate schalten, um potenzielle Zuwanderer abzuschrecken.

Premier David Cameron fährt eine demonstrativ harte politische Linie: Er hat angekündigt, alle staatlichen Leistungen für Zuwanderer massiv einzuschränken. Das reicht vom Zugang zu Sozialwohnungen bis hin zur Gesundheitsversorgung. Die konservative britische Presse versorgt ihre Leser unaufhörlich mit Horrorzahlen über eine angebliche Massenzuwanderung von armen Roma aus Südosteuropa.

Ohne mediales Getrommel, aber nicht weniger hart, geht die sozialistische Regierung in Frankreich mit dem Problem um. Wie schon die konservative Regierung unter Präsident Sarkozy, lässt auch Nachfolger François Hollande wilde Roma-Siedlungen räumen und die Bewohner nach Bulgarien und Rumänien zurückschicken.

Deutschland

2011: Aus Rumänien sind 96.000, aus Bulgarien 52.000 Personen eingereist. 28.000 sind Sozialhilfe-Empfänger.

Österreich

2011: 7053 Zuwanderer aus Rumänien; 1821 aus Bulgarien (Zahlen des Innenministeriums).

Großbritannien

Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien 2011: Etwa 13.000 Personen. Derzeit leben 80.000 Rumänen und 30.000 Bulgaren in Großbritannien. Nach dem Fall der Beschränkungen 2014 wird ein starker Anstieg erwartet.

Im KURIER-Gespräch nimmt Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zum Thema „Sozialtourismus“ Stellung.

KURIER: Frau Minister, ist unser Sozialsystem durch Bulgaren und Rumänen belastet?

Österreich ist derzeit nicht betroffen, das sieht man auch an den Zahlen. Aus Solidarität zu anderen EU-Staaten haben wir uns des Themas angenommen. Wir müssen auf das Problem aufmerksam machen, bevor es eskaliert.

Warum hat vor allem Deutschland so ein großes Problem?

Österreich hat klare Regelungen. Bleibt jemand aus einem EU-Land länger als drei Monate bei uns, braucht diese Person eine Anmeldebescheinigung. Diese gibt es nur, wenn die Person einen Arbeitsplatz hat oder über ausreichend Geld verfügt, um für das Leben aufzukommen. Kann das nicht nachgewiesen werden, gibt es keine Anmeldebescheinigung. Die Person kann dann ausgewiesen werden. Deutschland hat die Anmeldebescheinigung mit Jänner 2013 abgeschafft. Deswegen hat es jetzt ein Problem.

Wollen Sie eine Verschärfung der Freizügigkeits-Richtlinie?

Beim Ministerrat im Juni werden wir uns damit beschäftigen. Sozialem Missbrauch muss von vornherein Einhalt geboten werden.

Die EU-Kommission sieht im Sozialtourismus kein Problem und spricht von Panikmache.

Das Problem muss man vor Ort sehen. Deswegen ist die Mitsprache der Mitgliedsländer so wichtig. Mit Geldern des EU-Sozialfonds sollen Menschen im Heimatland gehalten werden. Die Kommission muss aufzeigen, wie Missbrauch sozialer Systeme verhindert werden kann.

Anfang 2014 fällt die Beschränkung für den freien Personenverkehr für Rumänen und Bulgaren. Erwarten Sie einen Andrang von Arbeitsmigranten dieser Länder nach Österreich?

Diese Sorge gab es bei den anderen neuen Mitgliedsländern wie Tschechien oder der Slowakei auch. Die Sorge hat sich nicht bestätigt. Es wird auch bei Rumänien und Bulgarien kein Problem werden. Wir haben gute Regelungen.

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