Robert Habecks Rolle im Grünen-Wahlkampf: Jetzt ist er dran
Er galt als Shootingstar der Grünen und wurde für die Wahl im Herbst zur Nummer zwei. Nach den schweren Wochen zeigt sich: Robert Habeck wird gebraucht. Doch das birgt auch Risiken
„Ja, moin! So habe ich mir das vorgestellt“, ruft Robert Habeck in den Himmel, wo gerade einige Möwen laut kreischend über seinen Kopf hinwegziehen. Im Hintergrund tuckert eine Fähre in den Hafen von Travemünde ein.
Es ist Woche zwei auf Habecks „Küstentour“, die ihn an Orte seiner Heimat Schleswig-Holstein führt. Nicht als Kanzlerkandidat, aber als einer, der für gute Stimmung sorgt. Schwierig ist das nicht. Der 51-Jährige war Vize-Ministerpräsident und Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und Naturschutz, ehe er 2018 als Grünen-Chef nach Berlin ging. Nun liegt die Hauptstadt weit weg, ebenso die Probleme.
Kaum ein Tag war vergangen ohne Schlagzeile zu seiner Co-Partnerin und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock: spät nachgemeldete Nebeneinkünfte, Ungenauigkeiten im Lebenslauf und Passagen in ihrem Buch, die kopiert waren. In Umfragen fiel die Partei von 28 Prozent auf unter zwanzig. Das ist noch immer doppelt so viel, als sie 2017 einfuhr, aber das Kanzleramt ist nicht mehr in Greifweite.
Robert Habeck galt lange als der Mann, der es erobern könnte. In Rankings war der frühere Schriftsteller zeitweise beliebter als Angela Merkel und stand für einen neuen Typ Politiker: Cool, intellektuell, manchmal melancholisch, was ihm im Netz Häme einbrachte. Auch bei den Grünen waren einige genervt. Neben Baerbock wirkte er wie ein Träumer. Sie galt dagegen als Realistin, die sich akribisch in Themen einarbeitet und wurde Kanzlerkandidatin.
Klima und Kalauer
Montagabend gehörte die Bühne wieder ihm. In Lübeck steht er im Freilichttheater zwischen hohen Bäumen und vor 300 Menschen im weißen Hemd, schwarzen Jeans und braunen Stiefeln. Habeck wirkt entspannt, wenn er von seiner Abstinenz spricht und davon, dass er „jetzt wieder darf“. Er gibt den Geschichtenerzähler, der den Niedergang der Hanse mit den Versäumnissen in innovativer Klimapolitik vergleicht; wird zum Philosophen, indem er „Klimaschutz als Bedingung für Freiheit“ bezeichnet. Gleichzeitig kann er den Kalauerkönig spielen und über Talkshows ätzen, wo er „oft rumhängen muss“ und nicht in die Tiefe gehen kann. Die Leute lachen, pfeifen anerkenned - und hören zu, auch wenn er mal länger über komplexe Themen wie Endlagersuche für Atommüll oder CO₂-Emissionshandel doziert.
Habeck nutzt Auftritte wie diese auch, um Boden gut zu machen: „Wir haben viele Eigentore geschossen, das wollen wir abstellen und auch mal ins Tor der Gegner spielen.“ Es ist eine andere Rhetorik, als die der Parteikollegen, die von Rufmord an Annalena Baerbock sprachen.
Seine Auftritte: Ein Balanceakt
Sie absolviert nach ihrem Urlaub wieder erste Auftritte – unter den Augen strenger Beobachter. Habeck stapfte derweil barfuß durchs Watt, besucht auf einem Schiff Forscher, die Plastikverschmutzung in der Elbe untersuchen, schnackt mit den Menschen und posiert für Selfies. Welche Bilder das produziert, wird ihm bewusst sein. Es ist ein schmaler Grat: Die Grünen können nach dem verpatzten Wahlkampfauftakt gute Laune und Wohlwollen brauchen. Gleichzeitig könnte sich der Eindruck manifestieren, Baerbock wäre „die falsche Kandidatin“. Sie würde bei den anstehenden Auftritten nur mehr schwer Fuß fassen können und er zu eine Art „Schattenkanzlerkandidat“ mutieren.
„Robert for Kanzler“
Hört man sich in Habecks Publikum um, bekommt man ein gemischtes Bild über diese Debatte. Für manche sei die Sache mit dem Plagiat „Pillepalle“, andere finden, sie wird „unfairer“ angegangen als er. Und dann gibt es jene, die kein Geheimnis aus ihrem Favoriten machen, wie sich in Lübeck zeigt. Zwei Frauen halten ein Plakat in die Höhe: „Robert for Kanzler“, woraufhin er zu lachen beginnt. Später, als sie das Areal verlassen, läuft er zu ihnen und bedankt sich. Die Idee sei spontan entstanden, sagt Annelie, eine der Frauen. Aus Solidarität war sie für Baerbock als Kandidatin, er sei ihr „sympathischer“. Ihre Schwägerin Lotte fand es gut, dass unter all den Männern eine Frau kandidiert, doch nach den Fauxpas sehe sie das anders – „kann man nur hoffen, dass es gut ausgeht“.
Doch zu sagen, Habeck wäre der bessere Kandidat gewesen, ist zu einfach. Auch er wurde früher beobachtet und bewertet. Als er sich nicht sattelfest bei der Pendlerpauschale zeigte, mit Schutzweste und Helm an die Frontlinie in der Ostukraine reiste und sich für Waffenlieferungen aussprach ("Defensivwaffen") – entgegen der Linie seiner Partei und der Bundesregierung. Oder, als er nach Baerbocks Nominierung seine Enttäuschung offenbarte. Schnell war er der eitle Geck. Das sei nur ehrlich gewesen, entgegnete er später.
Im Publikum finden einige diese Art „natürlich“, besser ist er ihnen aber noch als Minister in Erinnerung, der sich bewährte hat. „Die norddeutschen Bauern sind stur, Habeck hat sich mit ihnen zusammengesetzt“, sagt Pensionistin Karin, die mit ihrem Mann ins Freilichttheater gekommen ist. Er sei kein „typischer Grünen-Wähler“, aber pflichtet seiner Frau bei: „Selbst gestandene Bauern sagen, das is’n guter Politiker, bloß in der falschen Partei.“ Dieser Satz galt einst für SPD-Kanzler Helmut Schmidt.
In die Mitte gerückt
Unter Habeck sind die Grünen in die Mitte gerückt. Wer ihn eine Weile beobachtet und zuhört, merkt, wie das funktionieren konnte. „Wir wollen niemanden umerziehen“, sagt er etwa am Wochenmarkt in Travemünde, wo immer wieder Touristen stehen bleiben. Es gehe nicht darum, bessere Menschen zu machen, sondern bessere Politik. Er spricht von Fleisch aus Masthaltung, Kleidung aus Ausbeutungsbetrieben und gibt sich als einer, der nicht fehlerlos ist. Bei Lebensmitteln würde er auf Herkunft achten, bei seiner Kleidung wisse er es nicht genau, sagt er und zupft an seinem Hemd. Dann folgt ein Versprechen im Sinne von: Was, wenn es eine Partei gäbe, die den Menschen diese Sorgen abnähme? Kurz: Die Grünen kümmern sich mittels Gesetz darum, dass weder Tiere ein elendes Leben führen müssen noch Kleidung unter miserablen Bedingungen genäht wird.
Eine Art Sorglos-Politik – die auch bei jenen verfangen könnte, die bis dato Merkel-CDU gewählt haben und heuer unschlüssig sind, weil sie doch was fürs Klima und die Umwelt tun wollen. Auf Wechselwähler sind die Grünen am Weg nach oben angewiesen. Einfach wird es nicht, das haben die vergangenen Wochen gezeigt. So klingt es fast ein wenig demütig, wenn sich Habeck am Ende seiner Reden an die Menschen vor ihm wendet: „Geben Sie uns so viel Kraft, dass wir zumindest Teil der Regierung sind.“
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