Atomtest in Nordkorea? Den Menschen im Süden ist es egal
Nordkoreas Diktator lässt offenbar einen Atomtest vorbereiten. Doch im Süden der koreanischen Halbinsel sehen die meisten Menschen das Poltern Kim Jong-Uns gelassen
Ohrenbetäubend schrill sind die Schimpftiraden gegen das feindliche Nordkorea, die Zigtausende Demonstranten auf Seouls breitem Jong-Ro-Boulevard zu hören bekommen. Und mit „Kommunisten, Verräter“-Rufen, stimmen die Zuhörer schreiend zu.
Nahezu jeder hier, bei diesem Protest im Zentrum der südkoreanischen Hauptstadt, ist im Pensionsalter. Massenhaft werden südkoreanische und amerikanische Fähnchen geschwungen. „Die Amerikaner sind unsere Freunde“, versucht ein ältere Frau die einpeitschende Politikerrede zu überbrüllen, „sie werden uns wieder helfen, gegen diesen nordkoreanischen Teufel“.
Keine hundert Meter entfernt ist es genauso laut. Doch hier ist das jubelnde Publikum jung, während K-Popstar Lee Mu-Jin ins Mikrofon singt. Nordkoreanische Raketenstarts? Ein bevorstehender Atomtest?
„Das ist mir völlig egal“, meint eine schmachtende Jugendliche. Die Fans hier wollen nur das Freiluftkonzert genießen. Von politischen Spannungen, Nordkorea-Krise und der Massendemo am anderen Ende des Platzes lassen sie sich den Konzertgenuss nicht vermiesen.
Kaum Aufregung
Nordkoreanische Raketentests – wie zuletzt am Freitag der Start zweier Kurzstreckenraketen – regen in Seoul niemanden auf. Kaum jemand sieht hin, wenn auf den Großbildschirmen in Bahnhöfen oder U-Bahnstationen die Bilder der jüngsten Raketenstarts flimmern. „Wir sind das gewohnt“, schildert ein Passant. „Außerdem: Was soll man machen?“
Die Trennung
Seit dem Korea-Krieg (1950-53) ist die Grenze zwischen dem kommunistischen Norden und dem demokratischen Süden unüberwindbar. Im Reich von Diktator Kim Jong-Un leben 26 Millionen Menschen, im wirtschaftsliberalen Süden 51 Millionen.
Überalterung
Südkorea, die zehntgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, ist reich, aber überaltert. Derzeit sind noch 71 % der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter. 2040 werden es nur noch 55 % sein.
0,8 % Geburtenrate
De niedrigste der Welt – bei der zugleich höchsten Selbstmordrate der Welt
Doch dass mit Angriffen aus dem Reich des unberechenbaren Diktators Kim Jong-Un-zu rechnen ist, sieht man allein schon an den vielen Schutzräumen in der südkoreanischen Hauptstadt: Feuerlöscher und Sauerstoffflaschen finden sich in jeder Ecke der U-Bahn.
In den vergangenen Monaten hat das autokratisch geführte Nordkorea seine Raketentests massiv verstärkt. Experten werten dies als Probeläufe für ballistische Raketen, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden sollen. Und ein Test einer Atombombe steht im Reich von Diktator Kim Jong-Un offenbar unmittelbar bevor. „Wir hoffen, dass es nicht passiert“, sagte auch der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde Rafael Grossi am Donnerstag. „Aber die Anzeichen gehen leider in die genau andere Richtung.“
Bereits in den kommenden Tagen könnte es so weit sein. Und zum ersten Mal überhaupt, so befürchtet es einer der bestinformierten Nordkorea-Experten weltweit, Andrei Lankov, „könnte eine taktische Atombombe getestet werden. So etwas hat es noch nie gegeben.“Die Sprengkraft solch einer Waffe wäre wesentlich geringer als jener nuklearen Bomben, die ganze Regionen auf Jahrzehnte hinaus verwüsten würden. Doch die größte Gefahr solch taktischer Atomwaffen, die immer noch einer Sprengkraft der Hiroshima-Bombe entsprechen, sehen Experten darin: Sie könnten tatsächlich eingesetzt werden. Und Diktator Kim Jong-Un hatte angekündigt: Er wolle für Nordkorea ein ganzes Arsenal taktischer Atomwaffen bauen.
Wofür? Um Südkorea, die zehntgrößte Volkswirtschaft der Welt, in Schutt und Asche zu legen? „Nein, Nordkoreas Regime braucht die taktischen Atomwaffen zur Erpressung gegen die USA“, meint Andrei Lankov. Es könnte damit drohen, die amerikanischen Militärbasen auf Guam oder in Südkorea anzugreifen. Knapp 30.000 US-Soldaten sind in Südkorea stationiert.
Die USA lassen keinen Zweifel daran, dass sie mit aller Härte zurückschlagen würden: „Jeder nukleare Angriff Nordkoreas gegen die USA oder seine Alliierten ist inakzeptabel und wird das Endes dieses Regimes bedeuten“, hieß es diese Woche in einer Stellungnahme des US-Verteidigungsministeriums.
Die USA drohen Nordkorea – und Nordkorea droht mit seinem nuklearen Gehabe der ganzen Welt. Doch im Grunde gehe es darum, meint Experte Lankov, dass der aktuelle Status bleibe, wie er ist. „China will einen halbwegs stabilen Pufferstaat zwischen sich und Südkorea, wo US-Truppen stehen.“ Und Südkorea wolle schon gar nicht, dass der kommunistische Norden zusammenbricht – und Millionen Menschen dann in den Süden strömen.
Wohlstandskluft
Seit fast 70 Jahren sind sie nun getrennt, der kommunistische Norden und der demokratische Wirtschaftswunderstaat Südkorea. Doch auch wenn dies kein Politiker im Süden offen auszusprechen wagt, ist das Thema Wiedervereinigung in weite Ferne gerückt. Sie könne nur „sehr, sehr langsam“ geschehen, lautet die offizielle Devise.
25 zu 1
Wirtschaftlich wäre dieser Schritt für den reichen Süden ohnehin ein Desaster: Das Wohlstandsgefälle der High-Tech-Nation zum bitterarmen Norden beträgt 25 zu1. Zum Vergleich betrug das Verhältnis von BRD zur DDR kurz vor der deutschen Wiedervereinigung 3 zu 1.
Doch es geht nicht nur um gewaltige wirtschaftliche Lasten, die der Süden zu tragen hätte. Nach sieben Jahrzehnten Trennung sind die Koreaner im Süden und Norden der Halbinsel einander fremd geworden. „Die unter 40-Jährigen“, schildert Korea-Kenner Lankov dem KURIER, „sehen die Leute im Norden als seltsam an, als erbärmlich und ein bisschen psycho. Und sie denken: Die im Norden sollen bleiben, wo sie sind.“
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