„Runter fahren wir heuer nicht“, eröffnet der 43-Jährige, der mit 16 sein Heimatdorf nahe der nordostbosnischen Stadt Tuzla verlassen musste, um nicht Opfer des Krieges zu werden. „Runter“, „dolje“, klingt in seiner Muttersprache weich, fast immer melancholisch.
„Runter“ fährt heute niemand von seiner Familie und auch niemand von seinen Freunden und Bekannten. Weiß Nusmir Bešić. „Die einen haben Angst vor dem Coronavirus, die anderen fürchten, dass sie bei der Heimfahrt nach Österreich an einem der Grenzübergänge hängen bleiben. Alles ist durch Covid-19 sehr kompliziert geworden.“
Wie viele der privaten Busse auf den alten „Gastarbeiter“-Routen nach dem Lockdown noch unterwegs sind? Der Marchfelder Busfahrer weiß es nicht. „Ich kenne niemanden, der jetzt mit dem Bus nach Bosnien fährt. Wenn sich wer auf die Reise mit mehreren Grenzübergängen begibt, dann nur mit dem eigenen Wagen.“ Gut möglich ist daher, dass einige Busunternehmer finanziell auf der Strecke bleiben werden.
Nusmir Bešić selbst hat andere Sorgen: „Meine Eltern, beide schon in Pension, wären auch in diesem Sommer gerne in ihre alte Heimat gefahren. Um Verwandte und Freunde zu besuchen, um nach dem Rechten im Haus zu schauen.“ Langsam werde es für sie jedoch zur Gewissheit, dass sie davon heuer Abstand nehmen müssen.
Bosnien, eines der sechs Westbalkan-Länder, ist durch das Coronavirus noch ein Stück weiter von der Europäischen Union weggerückt. Und niemand kann dem Busfahrer, seinen Eltern, seiner Frau und seinen drei Kindern verlässlich sagen, wann die Einschränkungen enden.
Der „Zugereiste“, der bei seinen Fahrgästen sehr beliebt ist, tut sich leichter. Weil er gerne in Österreich lebt. Aus einem anderen Grund werden ihm die landschaftlichen Eindrücke in diesem Sommer fehlen: Nachdem er mit seinem Haus in Lassee fertig war, hat er begonnen, im Atelier seines Nachbarn Gottfried Laf Wurm wieder zu malen. Seine Motive findet er oft auch auf Reisen.
Auf der Landstraße zwischen Haringsee und Lassee, wo der dort ansässige Kabarettist Pepi Hopf scherzhaft das Ende der Welt vermutet, kennt der Über-Land-Busfahrer und Landschaftsmaler Nusmir Bešić längst jedes Feld und fast jeden Feldhasen. Viel hat er hier gemalt, oft in den Pausen, die ihm der Fahrplan des 392ers zubilligt.
Endstation Lassee. In Ermangelung von Reisemotiven wird er in diesem Urlaub weitere Bilder von seinem zweiten Zuhause, dem Marchfeld, malen. „Und ich werde für meine Familie einen Swimmingpool bauen. Dafür werde ich eh viel Zeit benötigen.“ Sagt er und parkt den Bus auf dem Parkplatz seiner Firma. Mit dem Rad geht es die letzten Meter bis zu seinem Einfamilienhaus, vorbei am ihm vertrauten Lagerhaus, wo er im Herbst 1993 seine Lehre als Landmaschinenmechaniker begonnen hat.
Zu Hause wartet im Keller eine Landschaftsskizze auf ihn. Ein altes Dorf in der Nähe von Sarajevo zeichnet sich ab. Der Busfahrer sagt offen: „Natürlich steckt da auch viel von meiner Nostalgie drinnen.“
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