"Religion ist eine private Sache"

Friedensnobelpreisträgerin Ebadi im KURIER-Interview
Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi über ihren Glauben, Khomeini und Frauenrechte.

Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi ist auf Einladung der Initiative "Women for Peace" in Österreich und sprach mit dem KURIER über die Angst vor dem Islam, den Konflikt im Nahen Osten und die Lage in ihrer alten Heimat, dem Iran.

KURIER: Gibt es Hoffnung auf eine friedliche demokratische Entwicklung im Iran?

Shirin Ebadi:Die Menschen im Iran sind gegen dieses Regime, wir haben eine sehr gute feministische Bewegung, wir haben eine sehr starke Arbeiterbewegung. Und wir haben eine Jugend, der Politik nicht gleichgültig ist, und das allerwichtigste ist, dass diese Bewegungen miteinander verbunden sind. Leider verlassen viele kluge Köpfe das Land, aber es gibt gute Potenziale, um das Land zu verbessern.

Sie haben anfangs die Islamische Revolution unterstützt. Bedauern Sie das heute?

Wenn Khomeini das getan hätte, was er versprochen hat, bevor er in den Iran zurückgekehrt ist, wäre das alles nicht so passiert. Er hat versprochen, dass alle Menschen frei wären, dass die Frauen frei sein könnten, machen könnten, was sie wollten. Jetzt dürfen Frauen nicht einmal die Art ihrer Bekleidung wählen, und es gibt diskriminierende Gesetze. Ich habe es bedauert, dass ich einem Lügner vertraut habe.

Ist der Islam überhaupt mit Demokratie vereinbar?

Sind Christentum und Judentum mit Demokratie vereinbar, haben nicht diese zwei Religionen die gleiche Wurzel wie der Islam? Ist da nicht ein Vorurteil versteckt? Der Islam wird sehr unterschiedlich gedeutet. In Ländern wie dem Iran und Saudi-Arabien haben Frauen wenig Rechte, in Indonesien oder Bangladesch haben sie sogar die politische Führung übernommen. Man muss sich also fragen, welcher Islam?

Aber warum dominiert heute dieser radikale Islam?

Mohammed selbst hat gesagt, auch die Frauen müssen mir ihre Stimme geben. Er wollte den Menschen die Möglichkeit zu freien Entscheidungen geben. Wir vergessen das alles und denken nur an so extremistische Gruppen wie den IS. Mit einer richtigen Deutung ist der Islam konform mit der Demokratie. Die aktuellen Probleme aber gelten nicht nur für die islamische Welt. Schauen sie doch, was in Europa los ist. Hier übernehmen die rechten Gruppierungen die Macht. Wer hätte gedacht, dass in den USA Trump Kandidat würde? Schauen Sie, in welche Richtung die Welt geht. Warum also beobachten wir nur den Islam? Wir sollten uns um die Welt Sorgen machen.

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Religion und Politik?

Eine Gesellschaft kann nur durch Säkularismus Fortschritte erzielen. Religion ist eine sehr gute Sache, aber eine private Sache und muss sich in den Herzen der Menschen entwickeln. Die Religion war immer gewalttätig, wenn sie mit politischer Macht verbunden war. Bestes Beispiel war die Kirche im Mittelalter. Ich bin eine säkulare Muslimin, obwohl ich religiös bin, glaube ich, dass der Staat von jeder Art von Religion frei sein muss.

Sie leben im Exil, denken Sie daran, in den Iran zurückzukehren?

Ich bin nicht deshalb nicht zurückgekehrt, weil ich Angst vor dem Gefängnis habe, dort war ich oft genug. Ich muss irgendwo sein, wo ich am besten für mein Land kämpfen kann. Ich bin im Ausland, weil ich die Stimme für jene Iraner sein will, die dort keine Stimme haben. Ich bin überall auf der Welt, um die Probleme der Iraner darzulegen. Das bringt mehr für die Iraner, als wenn ich im Gefängnis sitze.

Der Islam gilt im Westen als frauenfeindlich, ist er das?

Ist die Ursache für die Frauenfeindlichkeit in vielen Ländern tatsächlich der Islam, oder ist es in Wahrheit eine patriarchale Kultur? Diese Kultur missbraucht die Religion. Nicht nur die Situation muslimischer Frauen ist schlecht. Denken sie an die Lage der Witwen in Indien. Sind das Muslime? Oder an Beschneidungen von Frauen in Liberia, dort ist die Hälfte der Frauen beschnitten, dort sind 90 Prozent der Bevölkerung Christen. Ich akzeptiere, dass die Lage der Frauen in islamischen Ländern schlechter ist als im Westen, aber die Ursache liegt tiefer als in der Religion.

Welche Rolle kann der Iran bei der Lösung der Konflikte im Nahen Osten spielen?

Leider haben die Einmischungen des Iran die Konflikte nur verschärft, er sollte sich also heraushalten. Es finden so viele Friedenskonferenzen im Westen statt, alle Länder werden eingeladen, aber die Menschen dieser Länder bekommen keine Stimme, die Probleme bleiben bestehen, solange man die Probleme dieser Menschen ignoriert. Jedes Land sagt dem anderen am Konferenztisch, dass es sich in Syrien nicht einmischen soll, aber keiner plädiert dafür, dass die Syrer sprechen sollen. Solange der Westen und Russland die Vormundschaft für die Menschen in dieser Region übernehmen, werden die Konflikte nicht gelöst werden.

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