„Unabhängigkeit und Fußball“ – so beschreibt Oli, 17, aus Wales auf Twitter seine Passionen. Heute darf er, weil das Wahlalter von 18 auf 16 gesenkt wurde, an der Wahl der Senedd, dem walisischen Parlament, teilnehmen. Und Oli wird „absolut“ für Plaid Cymru, auf Deutsch Walisische Partei, die ein Referendum über die Abspaltung von Großbritannien fordert, stimmen. „Neuwähler sollten für eine Partei votieren, die sich wirklich um ihr eigenes Land kümmert“, twittert er.
Donnerstag ist großer Wahltag in Großbritannien, „Super Thursday“, und für die konservativen Tories des britischen Premiers Boris Johnson Stimmungsbarometer für Brexit, Corona-Krise und mehr. Sie dürften bei englischen Kommunalwahlen dank Impfbonus und trotz Filz-Vorwürfen relativ gut abschneiden. Aber für die Zukunft des Landes entscheidender wird, wie lautstark sich die Unabhängigkeitsanhänger in Schottland und Wales Gehör verschaffen.
Regionalwahl als Scoxit-Barometer
Labour unter Druck
Wales stimmte 1997 nur knapp für die „Devolution“, die Machttransfers von London an die Regionalregierungen in Bereichen wie Gesundheit, Verkehr und Bildung brachte. Die Labour Partei regiert seit der ersten Wahl 1999 Wales, hält bei 29 von 60 Sitzen und verlässt sich auf die Hilfe von Kleinparteien. Die Tories und Plaid haben je 10 Sitze, aber sollen laut Umfragen dazugewinnen.
Da Labour eine Kooperation mit den Tories ablehnt, könnte eine Koalition mit Plaid, deren Chef Adam Price die Pandemie als Grund für wachsendes „nationales Bewusstsein“ sieht, nötig machen. Das würde der Partei eine größere Bühne geben zu einer Zeit, wo Unionsgegner Zulauf vermelden. In einer Umfrage im März sprachen sich 39 Prozent der Waliser für eine Abspaltung aus, ein neuer Rekordwert. Unter 18-24-Jährigen waren es fast 60 Prozent.
Unpopulärer Johnson
Wales-Premier Mark Drakeford beschwerte sich, dass „wir keinen großen Einfluss“ auf London haben und Johnson für Fans eines eigenständigen Wales „der beste Rekrutierungsoffizier“ sei. In Schottland ist Johnson so unpopulär, dass ihn die Tories dort im Wahlkampf nicht sehen wollten. Letzte Umfragen waren sich einig über einen Sieg der SNP unter Regierungschefin Nicola Sturgeon, die die Wahl die „wichtigste in Schottlands Geschichte“ nennt und auf ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum drängt. Viele erwarten eine Mehrheit für Pro-Unabhängigkeitsparteien, wie SNP und Grüne. Manche halten gar eine absolute SNP-Mehrheit für möglich, was Sturgeons Position stützen würde, Johnson zu einem zweiten Votum zu zwingen.
Aber die Schotten sind bei dem Thema gespalten: 2014 hatten 55 Prozent für den Verbleib in der Union gestimmt; derzeit würde ein Referendum laut Umfragen mit 50:50 auf des Messers Schneide stehen.
Der konservative Telegraph schreibt aber bereits, Johnson fürchte ein starkes Wahl-Abschneiden von SNP und Plaid und arbeite an einer „Gegenoffensive“, Milliarden Pfund sollen zur „Rettung der Union“ vor allem nach Schottland fließen. Aber Robert Johns, Politologe an der Universität Essex, sagt dem KURIER, die Idee des Vereinigten Königreiches ist seit Längerem im Niedergang: „Bis auf eine Union Jack-schwenkende Minderheit wird die Union einfach als Status quo akzeptiert, aber auch in Wales oder Nordirland sind wenige überzeugt, dass London in ihrem Interesse arbeitet.“
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