Der muslimische Fastenmonat birgt angesichts des Krieges noch mehr Eskalationspotenzial als sonst. Hoffnungen auf eine Feuerpause schwinden.
10.03.24, 18:00
aus Tel Aviv Norbert Jessen
Kurz vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan sollte in der Jerusalemer Altstadt eigentlich dichtes Käufergedränge herrschen. Doch wenn im Gazastreifen die Zahl der Toten von Tag zu Tag steigt, sinkt in Jerusalem die Kauflust. Nur wenige Mondsichel-Girlanden flackern in den dunklen Gassen, einige Geschäfte sind geschlossen.
Mit "heißer Monat" lässt sich "Ramadan" übersetzen, in dem die Menschen vom Morgengrauen bis zum Abend fasten, in Freude und Frieden mit den Nachbarn. Wird dieser Frieden gestört, kann es ein hitziger Monat werden. Vor allem neben dem "geschichtsträchtigsten Quadratkilometer der Welt", wie es oft heißt: Jerusalem, auf Arabisch "Al-Quds". Hier steht die den Muslimen heilige "ferne Moschee", die Al-Aqsa. Auf dem biblischen Tempelberg, dem heiligsten Ort der Juden, dem "Kodesch Hakodaschim". Schon in biblischen Zeiten war er Krieg und Eroberungen ausgesetzt.
Vor allem im Ramadan ist der Ort stets Ausgangspunkt blutiger Unruhen.
Ramadan, der Fastenmonat der Muslime, ist der wichtigste Monat im islamischen religiösen Kalender: Ramadan beginnt heuer am 10. März mit Sonnenuntergang und dauert bis Montagabend, 8. April. Gläubige Muslime verbieten sich tagsüber das Essen, Trinken und Rauchen. Nach Sonnenuntergang wird das Fasten im Familienkreis gebrochen (Iftar).
Alljährlich, besonders aber heuer, wird in Israel im Ramadan mit gesteigerten Spannungen im besetzten Westjordanland und rund um die heiligen Stätten in der Altstadt von Jerusalem gerechnet. Israels Polizei hat eigenen Angaben zufolge kurz vor Beginn des Ramadan 20 Einwohner aus dem arabisch geprägten Ostteil Jerusalems festgenommen.
Eine Erwartungsstimmung, die Abu Ubeyda auszunutzen weiß. Den Sprecher der terroristischen Kassam-Brigaden der Hamas kennt die Welt nur anonym und vermummt. Am Freitag redete er blumig, doch deutlich: "Während Muslime sich weltweit auf Ramadan vorbereiten, opfern wir Allah einen Schwall reinen Blutes und reiner Seelen. Wir rufen unser Volk auf am Westufer, in Al-Quds und in den 1948 besetzten Gebieten, aufzustehen und gen Al-Aqsa zu marschieren." Auch der Prophet Muhammad errang seine größten Siege im Ramadan.
Gewalt und Proteste
Seit dem blutigen Überfall der Hamas am 7. Oktober mit über 1200 ermordeten Menschen hoffen die militanten Islamisten auf kriegerische Unterstützung – vor allem aus der arabischen Welt. Ihre Rechnung ging bislang nicht auf. In den besetzten Palästinensergebieten gab es zwar einen Anstieg der Gewalt – rund 400 Palästinenser sind seit Oktober getötet worden –, doch keinen Volksaufstand, keine dritte Intifada. In arabischen Staaten sind Proteste generell nicht gern gesehen, auch nicht, wenn sie gegen Israel sind. Allzu leicht könnten sie in Randale gegen das Regime ausarten.
Innerhalb Israels verhalten sich die arabischen Staatsbürger auffallend ruhig. Es gab zuletzt einige gewaltfreie Proteste. Doch gegen die greift Israels Polizei hart durch. Solidarität mit Gazas Zivilbevölkerung und Solidarität mit der Hamas wird dabei allzu leicht gleichgesetzt.
Der für die Polizei zuständige Minister für Innere Sicherheit, Itamar Ben Gvir, versuchte kurz vor Ramadan noch, mit drastischen Altersbeschränkungen die Zahl der Ramadan-Besucher an der Al-Aqsa-Moschee auf wenige Tausend zu minimieren. Sie stieg in früheren Jahren auf mehr als 150.000. Doch die Ben Gvir unterstehende Polizei wie auch Israels Geheimdienste verhinderten erfolgreich dieses "Gebetsverbot".
Für die Zeitung Haaretz spielte der Extremist in Israels Kabinett mit seiner Provokation gezielt in die Hände der Hamas. In Israel gab es am Wochenende erneut Proteste gegen die Regierung. Demonstrierende werfen Premier Benjamin Netanjahu eine nur auf eigene Interessen bedachte Politik vor.
Ringen um Feuerpause
Keiner rechnet damit, dass Unruhen im Ramadan in diesem Jahr ganz zu verhindern sind. Seit Wochen laufen zähe Gespräche unter Vermittlung der USA, Ägyptens und Katars über eine Feuerpause anlässlich des Fastenmonats. Diese wird jedoch immer unwahrscheinlicher. Zuletzt hatte die Hamas die Verhandlungen mit der Begründung abgebrochen, die bisherigen Antworten der israelischen Regierung erfüllten "nicht die Mindestanforderungen". Doch US-Präsident Joe Biden hatte sich im TV zu heftiger Kritik an Netanjahu verleiten lassen: "Meiner Meinung nach schadet er Israel mehr, als dass er dem Land hilft."
Kritisch wird der erste Freitag im Fastenmonat. Gibt es bis dahin keine Feuerpause, kann der Ramadan in Jerusalem und weltweit nicht nur wortwörtlich ein "hitziger Monat" werden. Kommt es doch noch zu einer Feuerpause, wäre deren Nichteinhaltung eine Versündigung gegen den Koran. Selbst für das reine Gewissen von Terroristen.
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