Netanjahus Plan für den "Tag danach": Schwarz und bewaffnet
Nach vier Kriegsmonaten und mehreren westlichen und arabischen Regierungen legte jetzt auch Israels Premier Benjamin Netanjahu einen Plan für den „Tag nach dem Krieg“ vor: ein entmilitarisierter Gazastreifen unter israelischer Sicherheitskontrolle; als Zivilregierung sollen „lokale Elemente mit Verwaltungserfahrung“ die Hamas-Machthaber ablösen; das Flüchtlingshilfswerk UNRWA soll aufgelöst werden.
Gefordert wird ebenfalls ein Sicherheitsstreifen längs der Grenze zu Israel wie die direkte Kontrolle der Grenzsperren zu Ägypten. Nicht ausdrücklich erwähnt wird die Palästinensische Autonomiebehörde (PA). Ihre staatliche Anerkennung wird jedoch ausdrücklich abgelehnt.
„Solang wie notwendig“ sollen diese Sicherheitsbedingungen gültig bleiben. Eine gezielt ungenaue Wortwahl, wie Netanjahu sie bevorzugt. Schroff im Ton, offen für Auslegungen. Genauso schroff fiel auch die Ablehnung der PA aus. Die erwartet für den „Tag danach“ einen unabhängigen palästinensischen Staat mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem. „Jeder andere Plan ist zum Scheitern verurteilt“, so PA-Regierungssprecher Nabil Abu Rudeina. Für die Hamas sei der Plan eine „Neubesetzung des Gazastreifens“.
Washington hat andere Pläne
Aus Jerusalem hieß es, der Plan sei als Vorschlag für kommende Verhandlungen gedacht. Wobei die Vorstellung einer israelischen Grenzpräsenz in Ägypten keine Begeisterung auslösen dürfte. In Washington wiederum ist hinter den Kulissen seit Wochen von umfassenderen „regionalen“ Plänen zu hören. Sie sollen die Golfstaaten und Saudi-Arabien mit in den Wiederaufbau Gazas einbeziehen. Was ohne einen palästinensischen Staat am Ende unvorstellbar wäre. Für Joe Biden wäre das der lang gesuchte außenpolitische Vorzeigeerfolg im kommenden Wahlkampf.
Doch Netanjahu setzte im Parlament mit großer Mehrheit die Ablehnung einer „einseitigen Anerkennung eines palästinensischen Staates infolge internationalen Drucks“ durch. Wieder schroff im Wort, doch butterweich in der Auslegung: Beidseitig und ohne weltweiten Druck könnte eine Anerkennung also doch gehen?
Einem Bericht des Wall Street Journals zufolge haben US-Geheimdienste die Vorwürfe Israels überprüft, dass zwölf Mitarbeiter des UN-Palästinenserhilfswerks (UNRWA) bei dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen sein sollen. Das Ergebnis: Einige der Vorwürfe scheinen glaubhaft, wenn sie auch nicht unabhängig bestätigt werden können. Zweifel bestehten an Israels Behauptung, dass das UNRWA in größerem Rahmen mit der Hamas zusammengearbeitet habe (Israel hatte von zehn Prozent aller 13.000 in Gaza tätigen UNRWA-Mitarbeitern gesprochen). Dem Bericht zufolge spreche sich das UNRWA zwar mit der Hamas ab, um im Gazastreifen tätig sein und humanitäre Hilfe liefern zu können, doch gebe es keine Beweise für eine darüber hinausgehende Zusammenarbeit. Die Geheimdienste betonten, dass man von den Kollegen aus Israel keine Infos zu deren Vorwürfen erhalten habe.
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe stoppten mehrere Länder, darunter Österreich, die Finanzierung des UN-Palästinenserhilfswerks. Neun der angeklagten Mitarbeiter wurden entlassen.
Netanjahu scheut Entscheidungen
Netanjahu schiebt wie so oft wichtige Entscheidungen vor sich her. So lang wie möglich will er seine jetzige Koalition halten. Das führt ihn ins Dilemma: entweder in die Spaltung seiner Koalition – mit drohenden Neuwahlen – oder in den offenen Konflikt mit dem US-Präsidenten, der bisher treu an der Seite Israels steht, obwohl er den Premier des Landes nicht ausstehen kann.
Die erwähnte De-Radikalisierung dürfte global auf ein positiveres Echo stoßen. Sie wäre aber eine langfristige erzieherische Maßnahme ohne sofortige Wirkung. Mit „lokaler Zivilverwaltung“ hingegen hat Israel schon mehrfach Erfahrungswerte sammeln können – und die waren alles andere als positiv. Letztlich geht es dabei um die allgegenwärtigen Großfamilien: die Clans.
In den 1970-er Jahren hatten sie ihre Bürgermeister in den palästinensischen Städten. Wobei sich auch in Gaza zeigte, dass Jordanien-treue und PLO-feindliche "lokale Politiker" keine Chance auf Wiederwahl hatten. Ein Jahrzehnt später waren es die ebenfalls mit dem jordanischen König verbündeten „Dorf-Ligen“. Auch sie scheiterten an der Ablehnung der palästinensischen Öffentlichkeit und der eigenen Korruption.
Doch gerade sie wären es, die abgesehen von PA und UNRWA so etwas wie „zivile Verwaltungserfahrung“ vorweisen könnten. Im Krieg bestand sie bisher darin, Lkw mit humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung zu überfallen, sofern diese von den Raubzügen der schwarz uniformierten Hamas-Kämpfer verschont geblieben waren. Die Güter verkaufen die Clans dann gewinnbringend auf dem Schwarzmarkt.
Gazas Zukunft „am Tag danach“ bleibt nach Netanjahus Plan, wie sie ist: schwarz und bewaffnet.
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