Dass er diesen Wunsch einmal haben würde, hätte sich Seka Lazare Adopo nie gedacht: So schnell wie möglich weg aus dem Land seiner Träume. Vor vier Jahrzehnten kam der Ivorer in die USA, nach New York City. Zuletzt schlug sich der 61-Jährige als Uber-Fahrer durch – und blickte dem Tod ins Auge. In einem Spital wäre er beinahe an einer Corona-Infektion gestorben. Er schaffte es, ist wieder gesund und formulierte gegenüber der britischen Times: „Ich will heim.“
Apoklayptische Prognosen traten nicht ein
Die persönliche Erfahrung und die nüchternen Zahlen lassen das verständlich erscheinen. Im US-Bundesstaat New York starben schon fast 28.000 Menschen an Covid-19, in Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) 24. Auch in anderen afrikanischen Ländern gibt es offiziell wenig Infizierte und Tote. Auf den Kontinent bezogen bedeutet das: Obwohl die 1,3 Milliarden Menschen 17 Prozent der Erdenbürger ausmachen, registriert man mit rund 76.000 nicht einmal zwei Prozent der Fälle weltweit, und es gibt deutlich weniger bestätigte Tote (rund 2.600) als in Belgien (8.900). Dabei hatten die UNO und ihre Gesundheitsbehörde WHO noch vor Wochen vor einer drohenden Apokalypse (mit bis zu zehn Millionen Infizierten) gewarnt.
Warum sie nicht eingetreten ist, dafür gibt es keine schlüssige Erklärung. Sicher – die geringe Durchtestung drückt die Fallzahlen enorm: „Sowohl staatlicherseits ist hier wegen begrenzter Ressourcen nicht so viel los, aber auch privat“, sagt Georg Ecker im KURIER-Gespräch. Der Österreicher koordiniert in der kenianischen Hauptstadt Nairobi für das Rote Kreuz die Gesundheitsaktivitäten im südlichen Afrika (49 Staaten).
Angst vor Tests
Überall würden es die Menschen derzeit – wenn es nur irgendwie geht – vermeiden, auch bei anderen, leichteren Erkrankungen Spitäler aufzusuchen. Der Grund: „Sie haben Angst vor den Tests. Denn ein positives Ergebnis können sich die meisten gar nicht leisten. Sie müssten 14 Tage in Quarantäne, für die sie in vielen Fällen zahlen müssen. Und sie können in dieser Zeit ihre Familien nicht ernähren“, so der 57-Jährige.
Dennoch, meint auch Ecker, der als Hydrobiologe lange Jahre für die ABC-Abwehrschule des Bundesheeres tätig war, dass mit der geringen Testung und der mangelhaften Dokumentation das Phänomen der begrenzten Covid-19-Verbreitung in Afrika nicht komplett erklärbar sei. Zwar gehen alle mit der Materie Befassten davon aus, dass es ein sehr hohe Dunkelziffer gibt, doch John Nkengasong, Direktor des Afrikanischen Zentrums für Seuchenkontrolle in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba, relativiert: Die Krankenhäuser wären voll von schweren Fällen, wenn der Löwenanteil der Infektionen nicht erfasst würde – auch unter Berücksichtigung, dass es einige gar nicht mehr ins Spital schaffen. Es gebe eben Faktoren, die sich günstig auf die Eindämmung des Virus auswirkten.
Faktum ist jedenfalls, dass die Folgen der Corona-Krise für Afrika gravierend sein werden. „Wir behandeln die Pandemie wie eine langfristige Gesundheitskatastrophe und als ökonomische Katastrophe“, sagt Georg Ecker. Durch unterbrochene Lieferketten etwa bei Medikamenten und Moskitonetzen könnte sich die Zahl der Malaria-Toten auf dem Kontinent auf 800.000 verdoppeln, warnt die WHO. Generell wird das schon in Vor-Corona-Zeiten marode Gesundheitssystem weiter leiden.
Und durch den Wirtschaftseinbruch droht auch der Hunger in Afrika wieder dramatisch zu steigen. „Europa muss sich dieser Herausforderung stellen“, fordert Ecker, der Ende Mai seine Heimreise antreten will, „ansonsten machen sich die Menschen auf den Weg Richtung Norden.“
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