Putin will in Syrien Tatsachen schaffen

Flugzeugträger "Admiral Kusnezow" auf dem Weg nach Syrien
Aufrüsten für die Zeit des Politik-Vakuums in den USA; Luftwaffe soll verdoppelt werden.

Russlands Präsident Wladimir Putin lässt wieder einmal aufhorchen: Er hat für die nordsyrische Stadt Aleppo für diesen Freitag eine "humanitäre Feuerpause" von 9.00 bis 19.00 Uhr Ortszeit angeordnet. Ein Entspannungszeichen oder in Wahrheit genau das Gegenteil?

Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte, Moskau hoffe in Syrien auf eine "ehrliche Zusammenarbeit" mit seinen Partnern. Washington sei aufgefordert, bei der Umsetzung einer Resolution des UN-Sicherheitsrats zu helfen, welche die Unterstützung extremistischer Gruppen in Syrien verurteile. Russland beschuldigt die US-geführte Militärkoalition zu großer Nachsicht gegenüber bewaffneten islamistischen und dschihadistischen Kämpfern in Syrien. Der Westen bezichtigt dagegen Moskau, durch wahllose Luftangriffe auf den Ostteil Aleppos Kriegsverbrechen zu begehen.

Hinter der Feuerpause vermuten viele im Westen nur ein letztes "Angebot" an Zivilisten und Rebellen, die Stadt zu verlassen, ehe russische und syrische Einheiten final zuschlagen. Die britische Times spekuliert, dass der im Mittelmeer Richtung Syrien dampfende russische Konvoi mit der altersschwachen "Admiral Kusnezow" als Flaggschiff tragender Teil einer unmittelbar bevorstehenden Operation sein solle.

Angriff Feiertagabend?

Die Schiffe werden am 4. November vor der syrischen Küste erwartet. Dieser Freitag ist Russlands höchster Feiertag. Punktgenau zu Anlässen wie diesen mussten einst schon auf Stalins Befehl sowjetische Generäle mit hohen Verlusten Festungen stürmen, die sich oft nur ein paar Tage später ergeben hätten.

Kremlsprecher Dmitri Peskow fühlte sich veranlasst, als er gestern die Feuerpause bestätigte, die Times zu rüffeln: Das Blatt habe "keinen Zugang zu Plänen des Präsidenten" und habe Informationen westlicher Geheimdienste, auf die es sich beruft, völlig falsch interpretiert. Das glaubt sogar ein Intimfeind Putins: Militärexperte Igor Sutjagin, der in Russland mehrere Jahre wegen angeblichen Landesverrats einsaß, 2010 im Rahmen eines Agenten-Austausches freikam und seither in London lebt. Putin, sagte er dem russischen Dienst des US-Auslandssenders Radio Liberty, sei sich der außen- und innenpolitischen Risiken einer Bodenoperation bewusst, eine Aufstockung des bereits in Syrien stationierten russischen Kontingents sei daher nicht geplant. Derzeit würden dort maximal 4500 Soldaten stehen. Für Terrorismusbekämpfung sei das ausreichend. Für Bodenkämpfe nicht.

Im Schatten der US-Wahl

Russland werde jedoch die Zeit zwischen den US-Präsidentenwahlen kommende Woche und dem Wechsel im Weißen Haus, wenn der Politikbetrieb in Washington im Sparmodus läuft, nutzen, um möglichst viel vollendete Tatsachen zu schaffen. Deshalb werde die Luftunterstützung für die syrische Armee und deren iranische und libanesische (Hisbollah) Hilfstruppen wohl massiv verstärkt werden.

Dazu werde Russland das Kontingent der Luftwaffe mehr als verdoppeln. Dessen Potenzial, sagt Militärexperte Alexander Goltz, wachse allein durch die Verlegung des Flugzeugträgers um 30 Prozent.

Kein Widerstand

Weitere Opfer unter der Zivilbevölkerung und bei Assads Gegnern nehme Moskau dabei als Kollateralschäden in Kauf, glauben Beobachter. Denn Widerstand sei nicht zu befürchten. Der Westen wolle die Spannungen zu Russland in der gegenwärtigen Lage nicht weiter eskalieren lassen. Moskau, fürchtet der Kolumnist Michail Rostowski, könne Syrien daher wie einst Grosny "zurück in die Steinzeit" bomben.

Danach ging der Tschetschenienkrieg allerdings noch drei Jahre weiter. Das könnte sich in Syrien wiederholen.

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