"Spiele der Schande"
Der Westen, das war in den vergangenen Jahren schon immer der Hort des moralischen Untergangs. Heuer, da der verhasste Westen Olympia ohne Russland veranstaltet – nur 15 Athleten sind wegen des Krieges als neutrale Bewerber dabei –, lässt man Paris medial zu Sodom und Gomorrha werden. Die "Spiele der Schande" werden im TV nicht gezeigt, dafür liest man über Orgien und wegen Öko-Wahns abmontierte Klimaanlagen. Obdachlose würden ständig über Athleten herfallen, und optisch entspreche Paris mit den vielen Ratten und Absperrungen eher einem KZ als einer Weltstadt, so die Prawda.
Die Kränkung in Moskau muss groß sein. Olympia war für Russland immer schon Austragungsort politischer Ambitionen, 1980 boykottierte der Westen Moskaus Spiele wegen des Afghanistan-Einmarschs, vier Jahre später blieben Sowjet-Athleten Olympia in Los Angeles fern. Daran erinnert der Kreml jetzt unablässig: Er nennt die "Neutralen" in Paris "Ausgeburten der Hölle", die besser nicht mehr heimkehren sollten; und das IOC wird zur "Bande Neonazis" disqualifiziert.
Abhängige Sportler
Für die Betroffenen ist das dramatisch. Nur wenige Stars können von ihrem Sport leben und sich ein Nein zur Macht auch leisten, alle anderen hängen von den kremlgeführten Verbänden ab. Einige Sportler versuchten zuletzt, die Staatsbürgerschaft zu wechseln; ein Abschied ohne Aussicht auf Heimkehr.
Die, die bleiben, müssen nach Putins Regeln spielen. "Wer nicht einverstanden ist, wird zum Ausgestoßenen", kommentierte Sportjournalist Michail Polenow vom Oppositionssender Doschd. Je bekannter ein Athlet, desto mehr brauche ihn die Propaganda.
Viele dieser Abhängigen zeigten sich kürzlich in Kazan, bei den BRICS-Games. Die Staatengemeinschaft aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika organisierte bisher jährlich kleine Sportevents, heuer blies der Kreml die zu "Russlands Olympia-Antwort" auf, wie der Kommersant schrieb. 97 Nationen seien dabei, nur ein paar Wochen vor Olympia. Bei der Eröffnung schwangen russische Kinder dann auch die Flaggen Deutschlands und Spaniens, ebenso die der Sport-Weltmacht China.
Leere Ränge
Ein Sieg waren Putins Gegenspiele aber nur in dem Sinn, dass die Russen mehr als ein Drittel aller Medaillen gewannen – sie stellten allerdings auch ein Fünftel aller Athleten, und die Konkurrenz war amateurhaft. Westliche Länder wie Frankreich waren durch Sportschüler von russischen Unis vertreten, von den 100 Sportlern aus China war kein einziger in Paris dabei.
Dass die Zuschauerränge oft leer waren, in manchen Bewerben – beim männliches Synchronschwimmen etwa – nur ein einziger (russischer) Bewerber an den Start ging, ging im Medienrauschen unter. Nur vereinzelt wagten sich Sportler mit Kritik aus der Deckung: "Emotionen bei den BRICS-Games? Gab es nicht", sagte die Sprinterin Kristina Makarenko.
Nachfragen gibt es auch bei Putins "Wettspielen der Freundschaft" nicht, die als noch größere Antwort auf Paris angekündigt waren. Im September hätten die Spiele in Moskau und Jekaterinburg stattfinden sollen, eine Erinnerung an den gleichnamigen Bewerb 1984, als Moskau und seine Satelliten Olympia boykottierten und sich untereinander maßen.
Jetzt hat der Kreml sie abgesagt, ohne Grund. Man mutmaßt, dass selbst aus befreundeten Staaten keine Athleten kommen wollten, so kurz nach Paris. Witze darüber macht in Russland aber kaum wer – das steht bekanntlich unter Strafe.
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