Memorial – dem Rückgrat der russischen Menschenrechtsbewegung droht das Aus

Im Visier Putins: "Memorial", Russlands altgediente Menschenrechtsorganisation
Putin setzt russische Bürger- und Menschenrechtler noch stärker unter Druck. Sie werden als ausländische Agenten angeprangert, ihnen droht ein Verbot.

"Ausländische Agenten". Von Vorwürfen, die verfassungsmäßige Ordnung Russlands zu untergraben, ist es – formaljuristisch – kein allzu weiter Weg zum Verdacht auf Umsturzversuch und einem Prozess wegen Landesverrats. So weit, glaubt Kirill Korotejew, Chefjurist der Menschenrechtsgruppe "Memorial", werde es wohl nicht kommen. Aber Auflösung und Tätigkeitsverbot für Russlands älteste und prominenteste Bürgerrechtsbewegung hält er für möglich nach der jüngsten Prüfung der Organisation durch das Justizministerium am Wochenende.

Das Protokoll hat es in der Tat in sich: "Memorial", heißt es, engagiere sich aktiv politisch "mit dem Ziel, die öffentliche Meinung (...) negativ zu beeinflussen", äußere sich ablehnend zu "Handlungen, Beschlüssen und Erlassen" der Führung und höhle die Verfassung aus. In Rage brachte die Controller vor allem Kritik Memorials an "Gerichtsurteilen in strafrechtlich relevanten Verfahren" und an Moskaus Vorgehen in der Ukraine. Dort, so steht es auf der Website von "Memorial", sei in Teilen der Tatbestand der Aggression erfüllt.

"Angriff auf Verfassung"

Nicht "Memorial", empört sich Kirill Korotejew, untergrabe die Verfassung, sondern das Justizministerium: Pluralismus und Meinungsvielfalt seien durch das Grundgesetz geschützt. Kritik am politischen System als "Angriff auf die Verfassungsordnung" zu interpretieren, fürchtet auch "Memorial"-Vorstandsmitglied Oleg Orlow, sei eine neue Dimension des Drucks auf Kritiker.

Massiv unter Druck stehen die meisten bereits seit Ende 2013. Damals trat ein Gesetz in Kraft, das Organisationen der Zivilgesellschaft, die mit westlichen Fördermitteln arbeiten, verdonnert, sich als "ausländische Agenten" zu registrieren. Die Auflagen gelten zwar nur für "politische" Gruppen. Doch dazu zählen in Russland auch Menschenrechtsgruppen.

Das Justizministerium, das das Agenten-Register führt, ist zudem angehalten, "politische" NGOs permanent und scharf zu kontrollieren. Organisationen, die die Registrierung verweigerten – darunter auch Memorial – wurden 2014 nach Inkrafttreten von Verschärfungen zwangsweise registriert.

"Mundtot machen"

Verfahren und Kontrollen seien nur der erste Schritt, um kritische Stimmen mundtot zu machen, glaubt Orlow. Bewaffnet mit immer neuen Dokumenten, die den Verdacht auf Umsturzversuch und andere Rechtsverletzungen angeblich beweisen, würden die Kontrolleure versuchen, einen Gerichtsbeschluss zur Auflösung von Memorial zu erwirken.

Sollte das scheitern, so das Massenblatt Moskowski Komsomolez, werde "Memorial" mit Bußgeldern zur Strecke gebracht. Erst im September fasste die Organisation eine Strafe von über 600.000 Rubel (9000 Euro) aus – für eine spendenfinanzierte Gruppe eine unmenschliche Summe.

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